Eulen-Interview mit Helmut Ortner, Herausgeber und Autor von „Exit – warum wir weniger Religion brauchen?“ (2019)
Helmut Ortner, Jahrgang 1950, hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht, u.a. Der Hinrichter – Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers, Der einsame Attentäter – Georg Elser und Fremde Feinde – Der Justizfall Sacco & Vanzetti. Zuletzt erschienen Wenn der Staat tötet – Eine Geschichte der Todesstrafe (2017) sowie Dumme Wut, kluger Zorn (2018).
Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner arbeitet und lebt in Frankfurt und Darmstadt. Er ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano Bruno-Stiftung.
Herr Ortner, der Linken-Politiker Gregor Gysi glaubt zwar nicht an „den da oben“ fürchtet sich aber vor einer „gottlosen Gesellschaft“ und Sie geben gleich ein ganzes Buch heraus, dass den „Exit“ empfiehlt. Was würden Sie Herrn Gysi gerne entgegnen?
Wir sind ein freies, demokratisches Land. Alle Bürger dürfen ihren Gott, auch ihre Götter haben – auch Herr Gysi. Der Staat aber muss in einer modernen, säkularen Grundrechtsdemokratie gottlos sein. Entscheidend sind nicht religiöse Präferenzen, sondern Verfassungstreue. Wenn Herr Gysi sich hier vor einer gottlosen Gesellschaft fürchtet, dann empfehle ich ihm zweierlei: Stilles Gebet und vermehrten Kirchgang. Vielleicht nimmt es die Furcht …
Noch genauer zu Ihren Motiven. Warum sind Sie der Meinung, dass weniger Religion Not tut. Es scheint doch, mit Blick auf Umfragen wie auch Studien, dass ohnehin die kirchlich organisierte Religion, wie auch dogmatische Weltanschauungen auf dem Rückzug sind. Ist der „Exit“ damit schon auf dem Weg?
Die weltweiten Missbrauchs-Skandale haben als Beschleuniger gewirkt. Keine Frage: Einfluss und Deutungsmacht der Kirchen schwinden. Der Unglaube wächst. Ich deute das als Ergebnis eines zivilisatorischen Fortschritts, als Zeichen von Aufklärung und Autonomie. Kurzum: Wir brauchen weniger Religion in dieser Welt. Nach wie vor lehren sie vor allem das Fürchten, stehen für Gewalt, Intoleranz und Unterdrückung. Ungläubige und Gottlose werden in vielen Ländern noch immer verfolgt, bestraft, getötet. Der Irrsinn himmlischer Bodentruppen ist grenzenlos. Noch immer ist ihr Einfluss auf Politik und Gesellschaft stark und unheilvoll. Ob als autoritäre Staatsdoktrin oder gesellschaftliches Sinnstiftungsangebot – es braucht keine Religion für ein friedvolles Zusammenleben und einen furchtlosen Ausblick in die Zukunft. „Die Religion vergiftet alles”, sagt Christopher Hitchens. Mein EXIT- Buch versteht sich als Entgiftungs-Lektüre. Probieren Sie davon. „EXIT- Interview: Die SPD sollte sich einem säkularen Humanismus verpflichtet fühlen“ weiterlesen