Schluss mit der Beschneidung Minderjähriger
Eine Kurzdokumentation und Bewertung der Diskussion um das Kölner Urteil zur religiös motivierten Beschneidung von Jungen
Mit dem Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 zur Beschneidung eines Kindes (Az. 528 Ds 30/11) wurde eine Lawine öffentlicher Diskussion und Entrüstung losgetreten.
Hintergrund war die durch einen Arzt nach Einwilligung der muslimischen Eltern an einem vierjährigen Jungen vorgenommene Zirkumzision, die aus rein religiösen Motiven vorgenommen worden war, die zudem zu Komplikationen mit weiterem Krankenhausaufenthalt führte.
Der Arzt, der wegen gefährlicher Körperverletzung angezeigt worden war, wurde freigesprochen. Dabei erfolgte der Freispruch jedoch nur, weil das Gericht feststellte, dass der Arzt sich im „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ befand. Zugleich wurde festgestellt, dass es sich bei dem Eingriff nicht um eine gefährliche Körperverletzung, sondern um eine einfache Körperverletzung handele. Das Urteil war bereits die zweitinstanzliche Entscheidung nach einem Freispruch durch das Amtsgericht Köln, das im November 2011 geurteilt hatte, „dass der Eingriff aufgrund der wirksamen Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern gerechtfertigt gewesen sei.“
Dieser Haltung konnte sich das Landgericht nicht anschließen, denn die Beschneidung „sei insbesondere nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt, weil sie nicht dem Wohl des Kindes entspreche. Denn im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung überwiege das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit vorliegend die Grundrechte der Eltern. Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht würden nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten seien abzuwarten, ob sich das Kind später selbst für eine Beschneidung entscheidet“, so das Landgericht.
Hier steht also das Grundrecht eines nicht einwilligungsfähigen Kindes auf körperliche Unversehrtheit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit der Eltern und dem Recht der Eltern auf Erziehung ihres Kindes gegenüber. Hinzu kommt noch die Religionsfreiheit des Kindes, das durch den irreversiblen chirurgischen Eingriff eingeschränkt wird. Dahinter steht also vor allem die Frage, inwieweit Eltern das Recht zusteht, aus religiösen oder anderen Gründen das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit zu missachten.
Heftige Reaktionen der Beschneidungsbefürworter, aber auch Zuspruch zum Urteil des Kölner Landgerichts
Inzwischen stellen sich nicht nur Vertreter der betroffenen Religionen, sondern auch die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland, sowie maßgebliche Politiker aus CDU, SPD, Grüne und FDP auf die Seite der Befürworter einer religiös begründeten Beschneidung von Jungen bei Muslimen und Juden.
Eine gute und knappe Zusammenfassung der Rechtslage und Bewertung gibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, der feststellt, dass es sich bei der religiös motivierten Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen nach vorherrschender Rechtsmeinung im Schrifttum um eine nicht gerechtfertigte Körperverletzung handelt. Die Richter am Kölner Landgericht haben demnach keineswegs, wie bisweilen behauptet wird, eine von der vorherrschenden Rechtsmeinung abweichende Haltung vertreten.
Aus der Politik war anfänglich kaum eine Resonanz zu verzeichnen, nur einige Grünen-Politiker wie Claudia Roth und Volker Beck sprachen sich klar für die rechtliche Ermöglichung der religiös begründeten Beschneidung von Jungen aus. Inzwischen beugen sich Vertreter der meisten Parteien dem Druck der orthodoxen und konservativen Strömungen innerhalb des Islam bzw. des Judaismus. Zahlreiche säkulare und liberale Stimmen aus den gleichen Gruppen, die sich kritisch zur Beschneidung äußern, werden dagegen kaum wahrgenommen. Es ist zum Beispiel wenig bekannt, dass eine Mehrheit der Juden in den USA, die sich eher als säkular oder liberal bezeichnen, die Beschneidung nicht als bestimmendes Merkmal des Judaismus sieht. Es gibt spezielle jüdische Zeremonien für neugeborene Jungen – das Brit Schalom – die von Rabbinern durchgeführt wird und bei der auf eine Beschneidung bewusst verzichtet wird. Die Beschneidung unter Juden ist alles andere als unumstritten.
Leider traut sich fast kein Politiker, sich vor das Landgericht zu stellen, und die körperliche Unversehrtheit der Kinder als das höher zu bewertende Grundrecht einzustufen. Neben den SPD-Laizisten, die sich hinter das Landgericht stellten, haben sich die Piraten nach Annahme eines entsprechenden Antrages öffentlich hinter das Landgericht gestellt. Unterstützung bekommen die Kinder von Kinderchirurgen, säkularen Verbänden, Kinderschutzorganisationen, Terres des Femmes und Wissenschafts-Bloggern.
Hektische Planungen im Bundestag
Inzwischen scheinen sich CDU, SPD, Grüne und FDP einig zu sein, dass die Beschneidung von Jungen aus religiösen Motiven gesetzlich abgesichert wird. Dazu soll bald eine interfraktionelle Resolution in den Bundestag eingebracht werden. Die Parteien – bisher mit Ausnahme der Linken – sind also bereit, hierbei ein ganz wesentliches, vielleicht das höchste Grundrecht überhaupt, zugunsten religiöser Riten einzuschränken. Damit stellen sie sich nicht nur gegen das fundamentale Grundrecht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit, sondern auch gegen verbindliche internationale Abkommen, wie die UN-Kinderrechtskonvention, die in einer deutschen Fassung vom Bundesfamilienministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben wird.
Speziell werden insbesondere Artikel 19.1: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Misshandlung […], solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.“ und vor allem Artikel 24.3: „Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.“ verletzt.
Offenbar wollen führende Politiker von CDU, FDP, SPD und Grünen mit einer schnellen Resolution und einer schnellen gesetzlichen Regelung einer Grundsatzdebatte aus dem Weg gehen, die für die Befürworter dieser rituellen Praxis höchst unwillkommen wäre. Immerhin spricht sich eine klare Mehrheit in Deutschland gegen die religiös begründete Beschneidung von Jungen aus, die Mehrheit der Bevölkerung ist also der Auffassung des Landgerichts Köln. Dies spricht leider Bände über die demokratische Kultur mancher Spitzenpolitiker, der Politikverdrossenheit wird auf diese Weise gewiss nicht vorgebeugt.
Für und Wider die Beschneidung von Jungen
Von den Befürwortern der Beschneidung werden verschiedene Aspekte angeführt, um den chirurgischen Eingriff an den Genitalien der Jungen ohne medizinische Indikationen zu bagatellisieren oder sogar medizinisch zu begründen. So wird insbesondere darauf verwiesen, dass dieser Eingriff hygienische und damit gesundheitliche Vorteile mit sich brächte. Dabei wird u.a. auf die verbreitete Beschneidungspraxis in den USA verwiesen oder auch auf eine Empfehlung der WHO. Letztere bezieht sich jedoch vor allem auf die spezielle und nicht allgemein übertragbare Situation in Ländern wie Uganda, in denen eine sehr hohe Verbreitung von AIDS und anderen Erkrankungen besteht und zudem viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Gerade die WHO hat in medizinischen Fragen oft Objektivität und Wissenschaftlichkeit vermissen lassen, wenn es um politische Interessen ging, und man sollte den Aussagen von wissenschaftlichen Fachverbänden den Vorzug geben.
Da die Betroffenen religiösen Befürworter der Jungenbeschneidung jedoch ausdrücklich auf dem religiösen, rituellen Charakter dieser Handlung bestehen und dabei auf ihre Religionsfreiheit als garantiertes Grundrecht verweisen, das höher zu bewerten sei als das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit, führt diese Nebendiskussion ohnehin ins Leere.
Nicht zuletzt die Ärzteschaft selbst, wie u.a. auch der Verband der Kinderchirurgen stellt sich hinter das Urteil des Kölner Landgerichts und verweist darauf, dass weder hygienische Vorteile die Nachteile und Risiken überwiegen, die mit einer Zirkumzision einhergehen, noch dass es sich um einen vernachlässigbar kleinen und folgelosen Eingriff handelt.
Folgerichtig verteidigt auch der Kinderschutzbund und die Deutsche Kinderhilfe das Gerichtsurteil als richtig und betont das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit als das höherwertige Recht.
In einem sehr empfehlenswerten Artikel im Deutschen Ärzteblatt wird medizinisch und juristisch dargelegt, warum es sich um eine Körperverletzung handelt und dass dieser Eingriff, weil medizinisch unnötig, eine körperliche Misshandlung darstellt. Man kommt zu dem Schluss:
„Es gibt also keine zwingenden Argumente, womit sich eine religiöse Beschneidung Minderjähriger begründen lässt. Bestehen bleiben allein die Nachteile (zu sehen vor allem im irreversiblen Verlust der Vorhaut), weshalb die religiöse Beschneidung nicht im Wohl des Kindes liegt, den Personensorgeberechtigten für die Einwilligung die Dispositionsbefugnis fehlt und damit der operative Eingriff eine rechtswidrige Körperverletzung darstellt.“
So empfahl folgerichtig der stellvertretende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, Bernd Tillig, Eltern, die Beschneidung so weit wie möglich hinauszuzögern. Die Kinder sollten dann selbst entscheiden.
Das Urteil hat einerseits keine abschließende und bundesweit bindende Wirkung, andererseits jedoch läuft nun jeder Arzt, der eine religiös motivierte und medizinisch nicht angezeigte Zirkumzision vornimmt, Gefahr, sich nicht mehr auf den „Verbotsirrtum“ berufen zu können, weshalb Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, Medizinern rät, religiös begründete Beschneidungen von Jungen wegen des Kölner Urteils vorerst nicht mehr vorzunehmen.
SPD-Laizisten begrüßen das Urteil
Die Laizistinnen und Laizisten in der SPD sprechen sich in ihren Zielen für ein klares Primat der staatlichen Grundrechte und Gesetze gegenüber anderen „Vorschriften“ aus, wie sie z.B. durch Traditionen oder Religionen vorgegeben werden. Für uns steht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht zur Disposition. Unwiderrufliche Eingriffe bedürfen der Volljährigkeit der Betroffenen und können nicht von ihren Eltern vorweggenommen werden, weder aus religösen, traditionellen oder sonstigen Gründen. Eine Ausnahme können lediglich drohende Gefahren für die Betroffenen durch Unterlassung, oder ein klarer, wissenschaftlicher Konsens bezüglich des Vorteils, wie bei Operationen oder Impfungen bilden. Bei diesen Ausnahmen muss es sich auf Fälle beschränken, die einen objektiven Vorteil im Interesse der Betroffenen (Minderjährigen) selbst bieten. Bis auf solche Ausnahmen müssen Eingriffe auf die Volljährigkeit verschoben werden, wenn die Betroffenen Entscheidungen selbst treffen können und dabei die Möglichkeit einer umfassenden Information über die durchzuführende Handlung haben.
Wir betonen die Religionsfreiheit als hohes Gut, wobei zu betonen ist, dass auch die negative Religionsfreiheit, also das Recht, keine Religion auszuüben, von diesem Grundrecht eingeschlossen wird. Diese negative Religionsfreiheit schließt ein, dass Eltern nicht das Recht zusteht, durch unwiderrufliche Maßnahmen die Religionsfreiheit des Kindes einzuschränken. Sie dürfen nicht dazu gezwungen werden, ein Zeichen oder Merkmal für eine Gruppe oder Religion tragen zu müssen, da sie bei Volljährigkeit eine andere Entscheidung treffen könnten. Natürlich stehen Volljährigen solche Rechte uneingeschränkt zu.
Bei der religiös bedingten Zirkumzision wird ein irreversibler und schmerzhafter chirurgischer Eingriff vorgenommen, der zudem nicht folgenlos und auch nicht risikolos ist. Ein Verschieben dieser Beschneidung auf den Zeitpunkt der Volljährigkeit wird von Vertretern der betroffenen Religionen schärfstens abgelehnt, „Gott lässt nicht mit sich verhandeln“ ist dafür die bezeichnende Begründung derer, die glauben, dass ihre Gottheit eben ganz konkret und unmissverständlich diesen „Befehl“ erteilt habe, die Jungen zu beschneiden.
Zur Beschwichtigung von Kritikern wird außerdem immer wieder auf den banalen und harmlosen Charakter der Beschneidung verwiesen, die keineswegs mit der Beschneidung von Mädchen vergleichbar sei. Dabei wird jedoch übersehen, dass in beiden Fällen aus rein religiösen Gründen ein chirurgischer Eingriff an den Genitalien vorgenommen wird, der jedenfalls medizinisch nicht sinnvoll oder gar notwendig ist und der nicht anders denn als Körperverletzung zu bewerten sein kann, wenn auch im einen Fall als leichtere und im anderen Fall als schwere Körperverletzung. Es handelt sich in beiden Fällen um eine Misshandlung mit lebenslangen körperlichen Folgen, auch wenn die Folgen bei Jungen nicht so schwer wiegen wie bei Mädchen. Offenbar will man hier eine völlig willkürliche Grenze ziehen.
Es müsste also von denen, die diese Beschneidung von Kindern aus rein religiösen Gründen vornehmen, gerechtfertigt werden, dass und warum dieser Eingriff eine Notwendigkeit darstellt, die wichtiger ist als unsere höchsten Grundrechte. Immerhin ist seit Jahren unumstritten, dass selbst Eltern ihre Kinder nicht schlagen dürfen oder auch eine strafbare Handlung vorliegt, wenn an Minderjährigen ein Piercing oder eine Tätowierung vorgenommen wird. Die medizinisch überflüssige, irreversible und mit gesundheitlichen Risiken behaftete Zirkumzision dagegen nicht als Körperverletzung zu würdigen, erscheint vor diesem Hintergrund bizarr. Wer der Auffassung ist, dass es sich hier um einen harmlosen und unbedeutenden Eingriff handelt, der sehe sich bitte diesen kurzen, 15minütigen Film an.
Verschiedene Denkwelten prallen aufeinander
Absurderweise wird jedoch denen, die sich hinter das Urteil des Kölner Landgerichts und die Auffassung der Mediziner stellen und für die körperliche Unversehrtheit von Kindern als höherwertiges Rechtsgut einsetzen, vorgeworfen, sie seien „unsensibel“ und würden Grundrechte nicht achten. Dabei vermischen und verwechseln die Religionsgemeinschaften, wie schon oft zuvor, das Selbstverwaltungsrecht, das ihnen vom Grundgesetz zuerkannt wird mit einem Selbstbestimmungsrecht, dass sie quasi über die bestehenden Gesetze stellen würde.
Damit wird deutlich, dass hier zwei Denkwelten hart aufeinanderprallen: Manche religiöse Menschen und Religionsvertreter halten ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit für selbstverständlich höherwertig als alle anderen Grundrechte und Grundwerte, und sie stellen es selbst über das Recht auf die körperliche Unversehrtheit von Kindern.
Dabei ist auch innerhalb der Religionsgemeinschaften diese Praxis nicht unumstritten und offenbar auch nicht zwingend erforderlich, um die Religion auszuüben. So gibt es in Israel eine „Organisation gegen Genitalverstümmelung“, die 1998 vor das Oberste Gericht zog und anstrebte, Beschneidungen für illegal erklären zu lassen. Und vor einigen Jahren ergab die Umfrage eines israelischen Elternportals, dass ein Drittel der Eltern gern auf das Ritual verzichten würde.
Im Islam dagegen findet die Beschneidung ohnehin erst statt, wenn das Kind schon älter ist, ein fester Zeitpunkt ist offenbar nicht vorgegeben. (Dann aber kann auch eine Verschiebung auf die Volljährigkeit kein Problem sein.) Als Beispiel für den offenbar anderen Umgang mit der Beschneidung im Islam sei auf den integrationspolitischen Sprecher der Grünen Memet Kilic verwiesen, der sich weitaus differenzierter zum Thema geäußert hat als Roth und Beck. In einem Interview der Stuttgarter Zeitung äußert er sich wie folgt:
„Frage: Herr Kilic, lassen Sie Ihre beiden Söhne jetzt noch beschneiden?
Antwort: (…) Vermutlich wären wir einfach der Tradition gefolgt. Nun hat mich das Urteil aber nachdenklich gemacht. Die beiden sind ein und acht Jahre alt. Es könnte womöglich besser sein, wenn meine Söhne in späteren Jahren selbst entscheiden dürfen, ob sie dieses Merkmal unserer Religion tragen wollen oder nicht. Denken Sie nur daran: im Petitionsausschuss beschäftigen wir uns gerade damit, ob man Pferde wirklich brandmarken muss oder ob es nicht mildere Verfahren gibt. Da sollte die Frage nach der Beschneidung kleiner Jungen auch kein Tabu sein.“
Eine solch nüchterne und differenzierte Betrachtung wäre allen Politikern zu wünschen anstelle der reflexhaften Verteidigung fragwürdiger religiöser Traditionen. Die deutsche Geschichte und das schwer belastete und besondere Verhältnis zur jüdischen Religionsgemeinschaft verpflichtet uns zwar, sehr sorgsam und rücksichtsvoll diese Religionsgemeinschaft zu achten und zu schützen. Das darf aber nicht zur Folge haben, dass wichtige Grundrechte wie der Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Kindern leichtfertig beiseite gewischt werden, wenn sie einzelnen Traditionen der Religionsgemeinschaft entgegenstehen. Es ist umso bedauerlicher (wenn auch leider erwartbar), wenn Kritiker der religiös motivierten Beschneidung sogleich in die antisemitische Ecke gestellt werden. Das tut der Sache selbst und vor allem dem Niveau der Auseinandersetzung keinen Gefallen.
Unser Bundessprecher Horst Isola hat für uns SPD-Laizisten am 28. Juni eine Presseerklärung abgegeben, die wir hier zur Vervollständigung der kleinen Dokumentation des Themas nochmals wiedergeben:
„Die SPD-Laizisten begrüßen das Urteil des Landgerichts Köln, Beschneidungen aus religiösen Gründen für strafbar zu erklären.
Endlich machen sich deutsche Gerichte daran, die Reichweite der Glaubensfreiheit neu zu vermessen. Die Empörung des Zentralrats der Juden verkennt, dass das Grundgesetz kein Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften anerkennt, sondern nur ein Selbstverwaltungsrecht „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Weimarer Verfassung). Das bedeutet, dass auch Religionsgemeinschaften die für jedermann geltenden Strafvorschriften zu beachten haben. Unsere Rechtsordnung gibt ihnen nicht das Recht, sich unter Berufung auf religiöse Vorschriften oder Rituale ein eigenes – göttliches – Recht zu schaffen und zugleich gegen fundamentale Grundrechtsvorschriften wie die körperliche Unversehrtheit zu verstoßen. Dies ist umso verwerflicher, als im vorliegenden Fall Opfer Kleinkinder sind, die sich nicht wehren können und womöglich für ihr ganzes Leben durch einen solche Eingriff, wie ihn die Penisbeschneidung darstellt, traumatisiert werden.“
Im April 2012 hatte sich Manula Schwesig noch für die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz ausgesprochen. Sie forderte, die Bundesregierung müsse „endlich den Weg freimachen, damit Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden können. Kinder sollen ausdrücklich als Träger von Grundrechten benannt werden und nicht nur im Rahmen der Elternrechte.“ Konsequenterweise hätte man danach auch das Kölner Urteil begrüßen müssen, geht es doch hier um genau diesen Vorrang der Grundrechte der Kinder. Nun scheint das alles nicht mehr zu gelten und die Grundrechte von Kindern auf körperliche Unversehrheit werden archaischen religiösen Riten untergeordnet.
Nachdem Aydan Özuguz (die für den Stellvertretenden Parteivorsitz der SPD kandidiert) sich für den Parteivorstand scharf von unserer Erklärung distanziert hat, haben wir auch hierauf reagiert. Dazu sei hier auf die Pressemitteilung von Nils Opitz-Leifheit und Oliver Lösch verwiesen.
Nils Opitz-Leifheit und Amardeo Sarma
Anhang/ Quellen und Hinweise:
Linksammlung zum Thema