Weg mit Adenauers Erbe!
Ingrid Matthäus-Maier
05. März 2012
Den kirchlichen Mitarbeitern werden fundamentale Arbeitnehmerrechte verweigert. Die SPD sollte ihnen beistehen.
Ingrid Matthäus-Maier, ehemals Verwaltungsrichterin, war bis 1999 Mitglied des SPD-Parteivorstandes und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.
Wie lange müssen wir solche Schlagzeilen noch lesen? Katholisches Krankenhaus entlässt Chefarzt – weil er wieder geheiratet hat. Organist nach 13 Jahren im Dienst von katholischer Gemeinde gefeuert – wegen außerehelicher Beziehung. Krankenschwester entlassen – weil sie aus der Kirche austrat. Diakonie-Mitarbeiter streiken gegen Lohndumping – Evangelische Kirche klagt auf Unterlassung.
Bei all dem berufen sich die Kirchen auf das Sonderrecht eines kircheneigenen Arbeitsrechtssystems. Das verweigert ihren Beschäftigten fundamentale Arbeitnehmerrechte. Mit dem Segen des Staates.
Deshalb musste der entlassene Organist durch sieben (!) Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof klagen, bis klar war: Die Katholische Kirche hat gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Der Chefarzt brauchte immerhin drei Instanzen, bevor er Recht bekam.
Seit Adenauer gilt das Betriebsverfassungsgesetz nicht für Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen. Genau das muss die SPD endlich ändern! Das Gesetz muss auch für Kirchen gelten, mit unterschiedlichen Loyalitätsanforderungen an die Beschäftigten je nach ihrer Nähe zur „Verkündigung“ des jeweiligen Glaubens. Diese Anforderungen wären natürlich bei einem Diakon höher als bei einer Krankenschwester.
Seit Jahrzehnten funktioniert das Betriebsverfassungsgesetz bei der AWO. Warum sollte es nicht bei der Diakonie oder der Caritas funktionieren? So wie es übrigens – dank der SPD – schon in der Weimarer Republik selbstverständlich war. Damals hatten kirchliche Mitarbeiter mehr Rechte als heute.
Dass für die rund 1,3 Millionen kirchlichen Beschäftigten fundamentale Arbeitnehmerrechte nicht gelten, wie die Bildung eines Betriebsrats, Tarifverträge, Beteiligung der Gewerkschaften, Streikrecht, hat die SPD nie akzeptiert. Stets hat sie in ihren Grundsatzprogrammen gefordert, zuletzt im Grundsatzprogramm 1989: „Allgemein geltende Arbeitnehmerrechte müssen auch in Einrichtungen der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet sein.“ Dieser Satz steht seit 2007 nicht mehr im Parteiprogramm. Warum? Könnte das damit zusammenhängen, dass 2005 ein Arbeitskreis Christen eingerichtet wurde?
Etwa 35 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind konfessionslos. Die konfessionellen Krankenhäuser werden weitgehend von den Krankenversicherten finanziert, kaum von den Kirchen. Auch deshalb gehören die oben genannten Beispiele ins 19., nicht aber ins 21. Jahrhundert.
Eine Arbeitnehmerpartei wie die SPD sollte diese Relikte der Adenauer-Zeit überwinden. Sie darf es nicht den Einzelnen oder ver.di überlassen, die Arbeitnehmerrechte mühsam einzuklagen, wie das beim Streikrecht vor dem Landesarbeitsgericht Hamm gelungen ist. Auf die Kirchen ist dabei nicht zu hoffen: nicht nur, dass sie gegen das Urteil Revision eingelegt haben. Erst im November 2011 haben sie ihre unnachgiebige Position noch einmal bekräftigt. Schade!