SPD und Kirchen – Von Geisterfahrern und eingebildeten Mehrheiten
Nils Opitz-Leifheit
Im Zuge der Bemühungen hunderter SPD-Mitglieder, die Interessen der Konfessionsfreien und Laizisten in der SPD zu bündeln, wird man in der SPD-Führung nicht müde zu betonen, die SPD sei nun einmal seit Godesberg eng an der Seite der beiden großen Kirchen. Die Genossinnen und Genossen, die mehr weltanschauliche Pluralität und einen glaubensneutralen Staat einfordern, werden daher gern als Außenseiter, Abtrünnige, gar Verfassungsfeinde hingestellt. In jedem Falle aber als Parteimitglieder mit abseitigen und SPD-untypischen Vorstellungen.
Damit suggerieren Thierse, Nahles, Griese und andere (die meist zugleich in hohen Kirchenfunktionen aktiv sind), die SPD sei in ihrer Breite und Tiefe eine Partei von aktiven und gläubigen Christen fest an der Seite der Bischöfe.
Und so praktizieren diese Genossinnen und Genossen auch ihre Politik: Kritik am teuren Papstbesuch und seiner Missionierungsansprache im Bundestag wird abgeblockt und verunglimpft, im Missbrauchsskandal der vergangenen Jahre stellt man sich demonstrativ vor die katholischen Kirchenführer, anstatt auch nur leise Kritik zu äußern und man kämpft, wie SPD-Vertreter in NRW, auch gern mal für die Aufhängung eines Kruzifixes in einem Landgericht. Zugleich wurde die Kritik an den Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte bei den Kirchen fast unbemerkt aus dem Grundsatzprogramm gestrichen, auf Nachfrage will´s keiner gewesen sein. Die Generalsekretärin der auf 23% geschrumpften und von Austritten gebeutelten Partei gar findet nichts besseres zu tun, als mit ihrem Buch „Frau, gläubig, links“ missionierend durch die Ortsvereine zu tingeln, als gelte es, die SPD mit der Bibel wieder fit zu machen.
Doch wie ticken eigentlich die halbe Millionen Genossen? Werden sie zu Recht von Thierse und Gabriel als Kirchenfreunde vereinnahmt? Immerhin über 160.000 von ihnen sind konfessionsfrei, zwar weniger als im Bundesschnitt, was wohl vor allem an der Überalterung der Partei (wie der Kirchen) liegt, aber eben doch etwa ein Drittel.
Und manchmal wird zum Glück sichtbar, wie „die Partei“ tickt, sogar auf der Ebene hoher Mandatsträger wie der Bundestagsfraktion. Da war die schwierige und komplexe Entscheidung zur Präimplantationsdiagnostik (PID) zu fällen und die Kirchen, vor allem die katholische, gaben ein klares, restriktives und religiös-moralisch begründetes Votum vor. Diesem folgten die allermeisten Christdemokraten, aber nur ein Fünftel der SPD-Abgeordneten. 80% der SPD-Fraktion aber sahen es anders, nämlich so wie auch die meisten Mediziner und überhaupt der größte Teil der deutschen Bevölkerung. Unter den 20% der Befürworter der Kirchenposition befanden sich aber fast all diejenigen, die sich als weltanschauliche Mehrheitsinhaber ausgeben, ob Gabriel, Thierse, Nahles oder andere. Diese unbeirrten Besitzer der „Mehrheitshaltung“ erinnern mich an den Witz von dem Geisterfahrer, der angesichts der Verkehrsmeldung ausruft: „Einer? Hunderte!“
Ein Einzelfall? Keineswegs. Auf eine Umfrage der Uni Jena zum Religionsunterricht unter Bundestagsabgeordneten befanden satte 2/3 der SPD-Abgeordneten, er hätte als ordentliches Lehrfach ausgedient, wäre also z.B. durch Modelle wie dem Ethikunterricht oder durch neutrale Religionskunde zu ersetzen, während der Bekenntnisunterricht allenfalls freiwillig (und nicht unbedingt auf Staatskosten) stattfinden solle.
Auch hier wieder: Keine Mehrheit für die parteiinternen Kirchenvertreter, im Gegenteil stellen sie eine klare Minderheit dar. Doch so erklärt sich wohl auch die bissige Abwehrhaltung gegenüber den konfessionsfreien Genossen: Je mehr von deren Forderungen diskutiert würden, um so mehr würde sich zeigen, dass eine deutliche Mehrheit der SPD-Mitglieder diese teilen. Oder glauben Nahles und Thierse ernsthaft, eine Mehrheit der Genossen/innen würde die staatliche Zahlung von Mixas üppiger Pension befürworten? Oder die ausgeuferte Bereitstellung von Kirchensendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Kosten aller Gebührenzahler? Oder auch die Aufhängung von Kruzifixen in Gerichtssälen und öffentlichen Schulen? Oder die üppige Finanzierung von Kirchenlehrstühlen und Priesterausbildung durch alle Steuerzahler?
Während täglich ein gut gefüllter ICE aus den beiden Kirchen austritt und in den meisten Großstädten inzwischen schon eine Mehrheit nicht mehr den beiden Großkirchen angehört, schmieden diese Kirchengenossen das Bündnis mit den Bischöfen immer enger. Man glaubt wohl, man würde damit wählbarer. Auch die desaströse Niederlage der Religionsunterricht-Verteidiger „Pro-Reli“ in Berlin (und unter ihnen natürlich wieder unsere Spitzengenossen) in einer Volksabstimmung beirrt sie nicht. Während man als stolze alte Volkspartei wie einzementiert bei 20 bis 25% verharrt, sucht man sich neue Bündnisse ausgerechnet bei aussterbenden und von riesigen internen Problemen geplagten Großorganisationen, die die SPD und deren aufklärerischen Fortschrittsansatz immer bekämpft haben. Wie weggeblasen die Homophobie der Kirchen, die Haltung zu §218 und Scheidungsrecht, der Umgang mit den Opfern von Gewalt und Missbrauch durch Geistliche und in Kinderheimen. Welch Wunder, dass man so nicht die Zustimmung der jungen und großstädtischen Bevölkerung verbessert.
Dieser Befund zeigt aber auch: Die Bestrebungen der laizistischen SPD-Mitglieder stoßen zwar auf verständlichen erbitterten Widerstand, die Kirchenvertreter kämpfen aber, allem Geschwafel einer angeblichen Religionsrenaissance zum Trotz, auf einer schmelzenden Eisscholle. Sofern die SPD nicht zuvor völlig in die parteipolitische Bedeutungslosigkeit befördert werden sollte, wird eine Entwicklung nicht aufzuhalten sein, bei der immer mehr konfessionsfreie Parteimitglieder einfach keine Lust mehr haben, die peinliche Kirchentreue ihrer Führung zu tolerieren. Sie wird wohl überhaupt nur deshalb geschluckt, weil völlig andere Themen (zu Recht) im Vorderund stehen, von Außen- und Wirtschafts- bis zur Bildungs- und Sozialpolitik.
Immer klarer aber wird, dass unsere im Grunde entkirchlichte Gesellschaft mit ihren vielschichtigen Weltanschauungen, vom atheistischen Akademiker bis zum fundamentalistischen Moslem, dringend eines Staates bedarf, der sich aus weltanschaulich-religiösen Fragen heraushält und allen Menschen ein neutrales und ebenes Spielfeld dafür bietet, sich im Rahmen der Verfassung und der Grundwerte zu entfalten. Dafür braucht weder der Jude oder Moslem ein Kruzifix in der Schule noch der Konfessionsfreie eine staatlich finanzierte Kirchliche Hochschule zur Priesterausbildung. Es sind die bitter erkämpften Menschen- und Freiheitsrechte, die Bürgerrechte und die Demokratie, die unsere Grundwerte darstellen, und gewiss kein Vater-Unser oder eine Koransure. Daran muss man leider heutzutage sogar sozialdemokratisches Spitzenpersonal erinnern. Tröstlich bloß, dass August Bebel und Friedrich Ebert das nicht erleben müssen.