Mehr Republik – und weniger Betpolitik
von Horst Isola
Wenn man deutschen Politikern heute zuhört, scheint Politik ohne Gottunmöglich. Eben hat die Kanzlerin dazu aufgerufen, mehr Christentum zuwagen. Davor behauptete der Bundespräsident, unsere Republik fuße auf einer »jüdisch-christlichen Tradition«, die mit dem Islam gut vereinbar sei.
Auch die Sozialdemokratie wird immer frommer: In Bremen ist es normal, dass der sozialdemokratische Bürgerschaftspräsident seine Fraktion zur Teilnahme am Gottesdienst auffordert, ja öffentlich betet.
Diese schleichende Re-Christianisierung der Politik läuft unserer Verfassung zuwider. Ein weltanschaulich neutraler Staat muss zwischen religiösen Fragen einerseits, ethischen Fragen andererseits präzise unterscheiden.
Erinnert sich noch jemand, dass die Demokratie gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen erkämpft wurde? Menschenwürde ist eben keine Erfindung des Christentums, sondern geht auf die antiken Stoiker zurück. Und die Menschenrechte wurden in der französischen Revolution gegen eine »gottgewollte« Monarchie durchgesetzt.
Noch bis in die 1950er Jahre nannten deutsche Kleriker die Menschenrechte eine »liberalistische Verirrung« und Papst Benedikt spricht von einer bloßen »Lehre«. Trotzdem neigen neuerdings auch Sozialdemokraten dazu, Religion als Grundlage unserer Demokratie zu propagieren.
Deshalb wollen wir jetzt einen Arbeitskreis »Laizisten in der SPD« gründen. Wir knüpfen an August Bebels Forderung nach strikter Trennung von Kirche und Staat an.
Wir pochen auf Artikel 4 unseres Grundgesetzes, der nicht nur freie Religionsausübung garantiert, sondern sagt: Jeder hat das Recht, frei von Religion zu sein. Es gibt nämlich auch Atheisten in Deutschland. Und die letzte Shell-Studie belegt, dass nur 44 Prozent der katholischen Jugendlichen und 39 Prozent der evangelischen den Glauben an Gott für wichtig halten.
Wer repräsentiert die Laizisten? Wer verteidigt eine Republik, die ihre Werteordnung nicht auf religiöse Dogmen, sondern säkulare Gesetze gründet?
Wenn jetzt von christlichen Staaten im Gegensatz zu islamischen geredet wird, ist das für die Bundesrepublik grundfalsch, weil wir Gottseidank keine Kongruenz zwischen Religion und Staat haben. Nichts gegen Dialog mit den Kirchen! Doch wir Deutschen definieren uns hoffentlich staatsbürgerlich – als Citoyens. Mir persönlich ist nur die Verfassung heilig. Ich glaube an keinen Gott, sondern Selbstbestimmung: dass freie Bürger entscheiden, was richtig und falsch ist.
Horst Isola, Sprecher des in Gründung befindlichen Arbeitskreises »Laizisten in der SPD« und ehemaliger Bremer Landesvorsitzender, (dieser Text erschien am 28.10.2010 in der ZEIT)