Raus aus dem Mittelalter!
von Nils Opitz-Leifheit – 04.07.2011 im „Vorwärts“ im Juli/ August 2011
Mehr als ein Drittel der Deutschen ist konfessionsfrei. Der Ruf nach der Trennung von Staat und Religion wird lauter. Der Parteivorstand will diese Debatte unterbinden. Das ist falsch und schadet der SPD.
Willy Brandt hat einmal gesagt „dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat“. Die Entscheidung des SPD-Parteivorstandes, den Laizistinnen und Laizisten in der SPD keinen Arbeitskreis zuzugestehen wie den Christen, Juden und Schwusos, war nicht auf der Höhe der Zeit.
Aber aus der „Öffnung“ ist eine „einseitige Ausrichtung“ geworden. Was würde August Bebel wohl denken, wenn er gesehen hätte, wie aus dem Parteivorstand gegen den Ethik-Unterricht des SPD-geführten Berliner Senates gekämpft wurde? Warum wurde die Einforderung der Arbeitnehmerrechte für Kirchenbeschäftigte nach vielen Jahren aus dem Grundsatzprogramm der SPD gestrichen? Das war wohl kaum im Interesse der christlichen Arbeitnehmer/innen. Kritik am Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen? In der SPD Fehlanzeige. Oder ist es zeitgemäß, wenn sich SPD-Spitzenleute für die Aufhängung von Kruzifixen in Gerichtssälen verkämpfen – gegen den Gerichtspräsidenten? Ist die ethische Grundlage unserer Demokratie Monopol einer Religion?
Damit ist die SPD nicht auf der Höhe der Zeit, denn die Welt hat sich auch seit 1959 gewandelt: 28 Millionen Menschen (35 Prozent) in Deutschland sind heute konfessionsfrei, hinzu kommen 4 Millionen muslimischen Glaubens. Katholisch oder evangelisch sind heute noch jeweils rund 29 Prozent. Innerhalb der SPD sind zirka 170 000 Mitglieder konfessionsfrei. Den wachsenden Anteil Konfessionsfreier wie bislang zu ignorieren ist schlicht unklug. Auch deshalb verlieren wir in den Großstädten an Attraktivität.
Wir fragen daher: Ist es nicht an der Zeit, die seit dem Mittelalter bestehende Privilegierung der Kirchen zu ersetzen durch eine saubere Trennung von Staat und Religion? Wir brauchen einen Staat, der allen Weltanschauungen gerecht wird. Stattdessen erleben wir in der SPD eine harsche Abwehr jeglicher kritischen Diskussion hierzu. Wir wollen aber mit unseren inzwischen 1000 Unterstützern in der SPD und nun schon sieben Landesgruppen eine offene Diskussion. Sie wird in der Öffentlichkeit längst geführt. Sogar auf Kirchentagen. Warum nicht in der SPD?