Warum gehört kein Kruzifix ins Klassenzimmer?
Nils Opitz-Leifheit, Oktober 2010
(Textbeitrag für eine Ausstellung im Hygienemuseum Dresden zum diesem Thema)
Vorab ist klarzustellen: In privaten kirchlichen Schulen, für die sich die Eltern ja ganz bewusst entscheiden, ist gegen Kreuze und Kruzifixe nichts einzuwenden. Es geht nur um die staatlichen, die öffentlichen Schulen.
Das Kreuz ist das Symbol für die christliche Religion schlechthin. Wo es hängt, signalisiert es, dass christliche Werte, christlicher Glaube und christliche Religionsausübung dort ihren Platz haben. Damit ist es auch in gewissem Sinne eine „In-Besitznahme“, wie dies bei anderen Symbolen ja auch der Fall ist, man denke an den Bundesadler, eine Landesfahne oder einen Stammtisch-Wimpel im Lokal.
Nun sind aber inzwischen 34% der Menschen in Deutschland konfessionslos, weitere 4% werden als Muslime gezählt und dann gibt es noch wenige Juden und sogar Buddhisten. Nur jeweils 29% waren 2008 noch katholisch oder evangelisch. In vielen Städten und in den östlichen Bundesländern ist nur noch eine Minderheit christlichen Glaubens. Und weil immer mehr Menschen aus den Kirchen austreten oder gar nicht mehr getauft werden, ist der Anteil der christlichen Kinder und Jugendlichen sogar noch geringer als in der Gesamtbevölkerung.
Da kann es selbstverständlich nicht richtig sein, ein religiöses Symbol einfach so in Klassenzimmer und Aulen öffentlicher Schulen zu hängen, denn dies übergeht die vielen Nicht-Religiösen und Anders-Religiösen.
Unser Staat verpflichtet sich in den Artikeln 4 und 140 des Grundgesetzes zu weltanschaulicher Neutralität und zur Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen. Da kann man schlecht mit dem Argument, dass früher fast alle christlich waren, oder mit dem Hinweis auf vorhandene alte Privilegien darauf pochen, dass ein religiöses Symbol in öffentlichen Schulen hängen muss. Das gleiche gilt natürlich für Gerichtssäle oder Rathäuser.
Nur wenn Staat und Religion sauber getrennt sind, können sich alle Menschen entsprechend ihrer Weltanschauung und ihres Glaubens auch gleichermaßen frei entfalten und ausrichten. Das muss ganz besonders für Schulen gelten, in denen aus Steuermitteln und mit staatlichen Vorgaben Wissen und Werte vermittelt werden.
Dabei sind die christlichen Werte nur ein Teil der in unserer Gesellschaft wichtigen ethischen Grundlagen. Die Abschaffung der Sklaverei, die Demokratie und allgemeines Wahlrecht, Gleichberechtigung der Frau, Meinungs-, Forschungs- und Glaubensfreiheit, ein modernes Scheidungsrecht oder auch die Gleichstellung von Homosexuellen, um nur einige Punkte zu nennen – all diese Errungenschaften unserer heutigen Gesellschaft wurden gegen die Kirchen erkämpft und können deshalb wohl kaum als christliche Werte bezeichnet werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die beiden großen christlichen Kirchen die meisten dieser Errungenschaften heute mittragen oder sogar als ihre eigenen verkaufen.
Das macht deutlich: Staatliche Schulen müssen weltanschaulich neutral sein, sie dürfen nicht einseitig für die Missionierung zu einer Religion oder die Zurschaustellung ihrer Dominanz missbraucht werden. Religiöse Symbole gehören allenfalls in einen konfessionellen Religionsunterricht, den ja auch nur die Schüler besuchen, die dies wegen ihrer Konfession wollen oder müssen.
Wenn die Kirchen ihren massiven Mitgliederschwund und ihre Überalterung überwinden wollen, so müssen sie dies schon durch ihre Arbeit und ihre Überzeugung in der Gesellschaft tun, nicht aber durch die Verteidigung alter Gewohnheiten und durch die Zwangsbeglückung der Menschen mit ihren Symbolen.
Nicht ohne Grund hat der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2009 in seinem Urteil festgestellt, dass ein christliches Kreuz im Klassenzimmer einer Staatsschule die Religionsfreiheit der Schüler verletze.
Die Kreuze einfach hängen zu lassen, bis sich jeweils jemand beschwert, ist keine Lösung, denn es erlegt dem Andersdenkenden auf, sich eigens an die Schule zu wenden und die Entfernung zu verlangen. Das aber werden viele nicht tun, weil sie dann Aufsehen, Fragen zur Rechtfertigung und Nachteile ihres Kindes in der Schule befürchten.
Das gern benutzte Argument, ein Andersdenkender würde durch das Kruzifix ja nicht beeinträchtigt, oder man könne ja am Kreuz vorbeisehen, ist grober Unsinn. Mit demselben Argument könnte man den muslimischen Halbmond oder atheistische Spruchbänder in Kirchen anbringen. Die Gläubigen könnten ja daran vorbeisehen.
Kruzifixe in Klassenzimmern sind übrigens nicht vergleichbar mit den Kreuzen auf Kirchen, Berggipfeln oder an Wegkreuzungen, denn dort sind sie in der Regel historisch gewachsen und sie stehen nicht in Verbindung mit staatlichen Einrichtungen.
Nur ein glaubensneutraler Staat garantiert also die Glaubensfreiheit aller, staatliche Schulen dürfen nicht für einzelne Religionsgemeinschaften missbraucht werden.