Laizismus im 21. Jahrhundert!? Politisch, programmatisch, progressiv!

Der AK in Heidelberg meldet sich hinsichtlich der Debatten hinsichtlich eines theoretischen Laizismus zu Wort, welcher in Deutschland zumeist negativ, mit Blick auf die laizistisch-politischen Strömungen des 19. Jahrhunderts betrachtet wird. Als „Ismus“-Anhänger ist demnach der Laizist ein ideologischer Kämpfer eines „antireligiösen Staates“, oder einer dezidiert „antireligiös-weltanschaulichen“ Politik. Diese zumeist von theologischen wie kirchenhistorischen AutorInnen vertretene Lesart lässt bloß Platz für eine positive Laizität, die sich als Entwicklungsprozess der staatlichen Organisation von Recht, Erziehung und Bildung in Unabhängigkeit von Religion(sgemeinschaften) verstehen darf. Dem steht ein politischer Laizismus entgegen, der sich als zu gestaltende programmatische und progressive Aufgabe begreift. Ein Laizismus, der sich seine Ziele selbst bestimmt, sich von der Deutungshoheit seiner Gegner befreit.

Ein Antrag für das Bundestreffen im November in Berlin ist in Arbeit, der die drei Leitlinien eines politischen, programmatischen und progressiven Laizismus des 21. Jahrhunderts als politischen Gestaltungsauftrag formuliert.

1. Politischer Laizismus: Weniger als eine Weltanschauung und mehr als eine abstrakte Theorie bezieht sich ein politischer Laizismus auf das politische Handeln, versucht die Verhältnisse von Staat und Religion(en) als politische Prozesse zu begreifen. Diese gilt es kritisch und unter der größtmöglichen Neutralität und Autonomie des Staates zu gestalten. Die Privilegierung bestimmter Religionsgemeinschaften sowie die Verwechslung von Religion mit Politik sind abzulehnen.

2. Programmatischer Laizismus: Neutralitätsgebot und die (negative) Religionsfreiheit sind Prinzipien, die ein politischer Laizismus über die Gestaltung eines Programmes von Alternativen und Reformen der Verhältnisse in Bereichen wie Bildung, Recht, Finanz- und Kulturpolitik zu erreichen sucht. Dabei vertritt Laizismus ebenso die Interessen und Themen Religions- wie Konfessionsloser, von AtheistInnen und HumanistInnen, wie die Durchsetzung der Grundanliegen de jure wie de facto. Beispielsweise innerhalb verfassungs- wie staatsrechtlicher Verhältnisse oder mittels Forderungen um eine alternative, staatliche Religionskunde.

3. Progressiver Laizismus: Laizistische Politik und Programmatik bezieht sich nicht bloß auf die bestehenden Verhältnisse, sondern arbeitet auf eine größtmögliche Verwirklichung ihrer Ziele hin. Diese hat zu berücksichtigen, dass sich sowohl die sozialen Verhältnisse in Bezug auf Religionsgemeinschaften und ihre Sozialformen ändern als auch die Interessen von Konfessionslosen, AtheistInnen und HumanistInnen weder immer übereinstimmen noch immer klar bestimmt sind. Laizismus bleibt damit ein sich immer wieder aktualisierender und folglich progressiver Gestaltungsauftrag.

Diese grundlegenden Aspekte eines politischen, programmatischen und progressiven Laizismus sollen einen orientierenden Rahmen bieten, damit die einzelnen Themenfelder, Herausforderungen und Interessen als ein laizistisches Programm, eine laizistische Positionierung verstanden werden können.

Näheres ab Heute auch gebloggt: http://laizistenspdhd.wordpress.com/

Drittes Laizistisches Landestreffen Baden-Württemberg (LaiLa)

Laizistisches Landestreffen Baden-Württemberg (LaiLa)

Termin: 21. Oktober 2012 , 13 Uhr – 17 Uhr

Ort: Griechische Taverne an der Bergbahn, Zwingerstr. 20, 69117 Heidelberg

Die sozialdemokratischen LaizistInnen Baden-Württemberg laden aus aktuellem Anlass zum dritten Landestreffen nach Heidelberg ein. Neben den Wahlen von Landessprechern und KandidatInnen für die Erweiterung des BundesprecherInnenkreises gibt es mit Anträgen um das Verständnis eines europäisch-deutschen Laizismus sowie eine kulturwissenschaftliche Religionskunde wichtige Themen zu besprechen. Wie verstehen wir einen europäisch-deutschen Laizismus des 21. Jahrhunderts? Gibt es eine konstruktive Alternative zu „religiösem Unterricht“ sowie der bisherigen Lösung des Ethikunterrichtes in Baden-Württemberg?

Unser Bundessprecher Nils Opitz-Leifheit wird über die Ereignisse auf Bundesebene sowie das geplante Bundestreffen berichten und der AK-Sprecher Marc Mudrak über die Arbeit und Veranstaltungen des ersten parteilich anerkannten Arbeitskreises auf Kreisebene, der sich im Mai 2012 in Heidelberg gegründet hat.

Des Weiteren stehen Vorbereitungen für das Bundestreffen im November, Organisatorisches wie ein Leitthema für 2013 und künftige Treffen, Diskussionen um gesellschaftliche Streitfragen wie Grundrechte kontra religiöse Praktiken, Kulturabgabe als „sekundäre Kirchensteuer“ und Blasphemie- Gesetze sowie nicht zuletzt die Feier der AK-Gründung zur Debatte.

AktivistInnen, SympathisantInnen, AtheistInnen, HumanistInnen, Kritische, Freidenker und Freunde des politischen Laizismus hört die Signale.

Die Landessprecher,

Lukas Kurz und Adrian Gillmann

TOPs

1. Begrüßung

2. Bericht des Bundessprechers

3. Bericht von der Landesebene und Gründung AK Heidelberg

4. Wahlen von LandessprecherInnen und Bundessprecher-KandidatInnen

5. Anträge

6. Organisatorisches

7. Sonstiges

8. Feier der Anerkennung des Heidelberger AK

PM Sondergesetz zur Zirkumzision

Pressemitteilung

Beschneidung: Gesetzentwurf verstößt gegen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit

Zum Entwurf eines Sondergesetzes zur „Beschneidung des männlichen Kindes“ teilt der Sprecher der Bremer Laizistinnen und Laizisten, Horst Isola, mit:

„Der vom Bundesjustizministerium vorgelegte Entwurf eines Sondergesetzes zur Beschneidung männlicher Kinder verstößt gegen den Verfassungsgrundsatz der körperlichen Unversehrtheit nach Artikel 2 Grundgesetz. Die vorgeschlagenen Gesetzesformulierungen zielen auf die Legalisierung einer schweren Körperverletzung und tasten damit den Wesensgehalt dieses Grundrechts an, was nach Artikel 19 Absatz 2 des Grundgesetzes unzulässig ist.

„PM Sondergesetz zur Zirkumzision“ weiterlesen

Zum Verhältnis von Staat und Kirchen

Zum Verhältnis von Staat und Kirchen

von Ingrid Matthäus-Maier

21.7.2012; ungekürzte Fassung

 

 

Da reibt man sich doch verwundert die Augen über folgende Diskrepanz: es gibt in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 einen Art. 138, der in unser Grundgesetz übernommen worden ist. Danach sind die Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften abzulösen. Es handelt sich dabei um die Entschädigungszahlungen für die Enteignung von Kirchenvermögen im Jahre 1803 (!), die Jahr für Jahr aus den Länderhaushalten – nicht etwa aus der Kirchensteuer – gezahlt werden und im Moment etwa 450 Millionen Euro betragen. Demgegenüber hat der Deutsche Bundestag keine 6 Wochen gebraucht, um wiederum auf massiven Druck der Kirchen einen Beschluss zu fassen, wonach die Bundesregierung im Herbst 2012 einen Gesetzentwurf vorzulegen hat, der sicherstellt, dass die Beschneidung von Jungen zulässig ist. Diese Diskrepanz: einerseits 92 Jahre lang einen Verfassungsauftrag zu negieren, andererseits im Eiltempo einen Beschneidungsbeschluss zu fassen, beide Male, weil die Kirchen Druck ausüben, zeigt, dass unser Staat entgegen unserer Verfassung nicht weltanschaulich-religiös neutral ist.

„Zum Verhältnis von Staat und Kirchen“ weiterlesen

AK-Treffen „Religion und Schule in Baden-Württemberg“

Nur wenige Tage nach der offiziellen Anerkennung des AK LaizistInnen begann die inhaltliche Arbeit. Thema des AK-Treffens am 27. Juni 2012 in Heidelberg war „Schule und Religion in Baden-Württemberg„. Input kam von Michael Rux, ehemaliger Leiter einer christlichen Gemeinschaftsschule und aktiv in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Rux erklärte die aktuelle Situation der Schulen mit einem Rückgriff auf die Geschichte. Demnach ist der konfessionelle Religionsunterricht in den Schulen ein Relikt der Nachkriegsjahre. Bis heute betritt der Lehrer den Klassenraum für den Religionsunterricht nicht wie sonst als Staatsbeamter, sondern als kirchlich gebundener Verkünder von konfessionellen Glaubenswahrheiten. Das Kreuz in den Schulen ist zwar nicht obligat, aber in größeren Teilen des Landes noch Gang und Gäbe. Bis heute werden Kinder nach religiösen Kriterien für den Religionsunterricht getrennt, anstatt gemeinsam über Religion informiert und aufgeklärt. Anhand weiterer Beispiele erläuterte Rux auch in der folgenden Debatte, warum in den Schulen Baden-Württembergs die Trennung von staatlicher Erziehung und religiöser Trennung und Indoktrination noch lange nicht verwirklicht ist. Ein weiterer Rückschritt droht nun durch die reformierte Gemeinschaftsschule der grün-roten Regierung. Denn auch diese bleibt „christlich“ und das nicht nur im Namen, sehr zur Freude der Kirchenfunktionäre. Der AK greift Anregungen dieses Abends auf und bereitet einen programmatischen Antrag für die Verwirklichung der Trennung von Staat und Kirche in den Schulen vor, der in die SPD eingebracht werden wird.

 

Debatte um die religiöse Beschneidung von Kleinkindern

Pressemitteilung des Gesprächskreises der laizistischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zur Debatte um die religiöse Beschneidung von Kleinkindern:

Mit Unverständnis reagiert der Gesprächskreis der laizistischen Sozialdemokrat_innen in Hessen auf die schrillen Töne in der öffentlichen Debatte, mit denen nach dem Kölner Urteil zur rituellen Beschneidung von Jungen offenbar eine ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis dieser religiösen Tradition erzwungen werden solle.

„Davon, dass angesichts des Urteils, wie behauptet worden ist, in Deutschland jüdisches Leben nicht mehr möglich sei, kann keine Rede sein“, erklärt Franziska Böhm, Sprecherin des Kreises. Es gehe bei dem Verbot nicht um die Verhinderung eines religiösen Bekenntnisses und dessen praktische Ausübung, sondern allein um die Durchsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit der Kinder.

„Die Religionsfreiheit, auf die sich die Befürworter_innen der Beschneidung im Kindesalter berufen, gilt auch und insbesondere für die Betroffenen selbst. Die Praxis der rituellen Beschneidung ohne persönliche Einwilligung der Jungen erfüllt nicht nur den Tatbestand einer Körperverletzung, sondern missachtet auch deren Recht auf freie Wahl des religiösen Bekenntnisses: An ihrem Körper wird eine unumkehrbare Operation durchgeführt, die religiös motiviert ist“, ergänzt Böhms Amtskollege Matteo Minden und bezieht sich damit auch auf Artikel 14 der von Deutschland ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention, der Kindern besagte Religionsfreiheit garantiert.

Aus diesem Grund sei die von den Bundestagsfraktionen von Union, FDP, Grünen und SPD eilig angestrebte gesetzliche Regelung der Beschneidung, die den Forderungen der Befürworter_innen entsprechen solle, nichts als ein schnelles Einknicken vor klerikalen Besitzstandswahrern, und einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig, so die hessischen Laizist_innen weiter.

Der Gesprächskreis der laizistischen Sozialdemokrat_innen kritisiert auf das schärfste die Haltung des SPD-Parteivorstandes und appelliert eindringlich an die SPD und ihre Fraktion im Bundestag, die Neutralität des Staates gegenüber den Glaubensgemeinschaften zu wahren und diesen unsäglichen Gesetzesentwurf abzulehnen. Weitaus sinnvoller sei es, würde sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser strittigen Frage zu befassen, um juristische Klarheit zu schaffen.

Links zum Thema Beschneidung

Zur Diskussion zum Theme Beschneidung sind hier Links zusammen gestellt.

SPD Laizisten

Kurzdokumentation zur Beschneidungsdiskussion (Juli 2012)

Pressemitteilung SPD Laizisten (Juni 2012) nach dem Kölner Urteil

Pressemitteilung SPD Laizisten (Juli 2012) vor der Bundestagsresolution

Pressemitteilung SPD Laizisten Heidelberg (Juli 2012)

Pressemitteilung SPD Laizisten Hessen (Juli 2012)

SPD Allgemein

Manuela Schwesig zur Kinderrechtskonvention und der Einklagbarkeit von Kinderrechten

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoguz kritisiert SPD LaizistInnen

Intaktivist und vergleichbare Organisationen

Jews against Circumcision

Intactivist Pages

International Coalition for Genital Integrity

Israelische Organisation Ben Schalen (Interview zur Beschneidung)

Alternative Zeremonien

Brit Schalom

Resolutionen und Stimmen gegen Beschneidung

Ärzte und Juristen plädieren gegen die Beschneidung

Presseerklärung der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH)

Deklaration des Ersten Symposiums über Beschneidung in Anaheim, Kalifornien, USA (Englisch)

Allgemeine Erklärung zu Beschneidung (Zirkumzision), Ausschneidung (Exzision) und Einschneidung (Inzision)

Interview mit Memet Kilic (Die Grünen) zur Beschneidung: „Der Politik fehlt wohl der Mut“

Äußerung von Ärtzepräsident Montgomery im Handelblatt

Beschneidung? Die Betroffenen müssen selbst entscheiden! von Rolf Dietrich Herzberg

Die Piraten Bremen

Wissenschaftliche Informationen

Deutsches Ärzteblatt: Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung; Dtsch Arztebl 2008;

Wissenschaftliche Veröffentlichung über die Beschneidungspraxis als Maßnahme zur Bekämpfung von AIDS (Englisch)

Juristische Inhalte

Pressemitteilung des Landgerichts Köln zum Urteil

Offizielle Infos

Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags: Aktueller Begriff Beschneidung und Strafrecht

UN sowie Kinder- und Jugendschutzorganisationen

UN-Kinderrechtskonvention „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“

Kinderschutzbund begrüßt Urteil zu Beschneidungen, 27.06.2012

Frauenorganisationen

TERRE DES FEMMES begrüßt Urteil zum Verbot religiöser Beschneidungen (27.06.2012)

Umfragen

Augsburger Allgemeine; Umfrage: „Religiöse Beschneidung: Mehrheit der Deutschen dagegen“

Stellungnahme von Religionsvertretern

27.06.12 Pressemitteilung des ZMD zum sogenannten „Beschneidungsurteil“

Pressemitteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland: Zum Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Jungen

Kritik der Bischöfe am Urteil in spiegel-online

Erklärung zum Beschneidungsurteil

Der AK LaizistInnen in der SPD Heidelberg begrüßt das Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von männlichen Kindern. Religiös motivierte Beschneidungen sind eine Körperverletzung und als solche strafrechtlich zu ahnden. Wir werben für eine gesetzliche Neuregelung, die religiöse Körperverletzungen an Kindern für alle gleich verbietet. Auf der Basis des Grundgesetzes wenden wir uns damit auch gegen rechtsfreie Räume für Religionen. Religiöse Traditionen dürfen keine anarchischen Reservate bekommen – das Gesetz der Republik muss immer und für alle gleich gelten.

Die Beschneidung von Kindern berührt Grundrechtsfragen: Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und das Recht des Kindes, selbst (später) über seine religiöse Zugehörigkeit oder nicht-Zugehörigkeit zu entscheiden. Dem stehen die Religionsfreiheit der Eltern und das elterliche Recht auf religiöse Erziehung entgegen. In diesem Konflikt bewerten wir den Schutz des Kindes und dessen Religionsfreiheit höher. Mit dieser Haltung unterstützen wir den modernen Rechtsstaat und ziehen diesen der Traditions-Argumentation religiös angeblich unvermeidlicher Praktiken vor. Die Grundlage für das Recht und somit das Zusammenleben in unserer Gesellschaft bildet das Grundgesetz – und nicht alte religiöse Gewohnheiten, die gegen Grundrechte verstoßen.

Wir begrüßen die aktuelle Debatte und laden alle Seiten zu einem offenen und fairen Austausch ein. Dabei sehen wir eine große Motivation für alle LaizistInnen und Säkulare, sich zusammen zu finden. Wir prangern den sozialen Druck in Religionsgemeinschaften an, deren Angehörige sich unter indirekter Androhung der „Exkommunikation“ bestimmten Praktiken unterwerfen sollen. Doch in muslimischen und jüdischen Religionsgemeinschaften stoßen Beschneidungen auch auf Ablehnung und Unverständnis. Wir unterstützen alle, die in Religionsgemeinschaften gegen diesen Druck ankämpfen und sich gegen die Beschneidung von Kindern wenden. Der AK LaizistInnen in der SPD Heidelberg will dieses Potential an kritischem Nachdenken und aufgeklärtem Hinterfragen stärken.


Marc Mudrak

Sprecher des AK LaizistInnen in der SPD Heidelberg

Schluss mit der Beschneidung Minderjähriger

Schluss mit der Beschneidung Minderjähriger

Eine Kurzdokumentation und Bewertung der Diskussion um das Kölner Urteil zur religiös motivierten Beschneidung von Jungen

Mit dem Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 zur Beschneidung eines Kindes (Az. 528 Ds 30/11) wurde eine Lawine öffentlicher Diskussion und Entrüstung losgetreten.

Hintergrund war die durch einen Arzt nach Einwilligung der muslimischen Eltern an einem vierjährigen Jungen vorgenommene Zirkumzision, die aus rein religiösen Motiven vorgenommen worden war, die zudem zu Komplikationen mit weiterem Krankenhausaufenthalt führte.

Der Arzt, der wegen gefährlicher Körperverletzung angezeigt worden war, wurde freigesprochen. Dabei erfolgte der Freispruch jedoch nur, weil das Gericht feststellte, dass der Arzt sich im „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ befand. Zugleich wurde festgestellt, dass es sich bei dem Eingriff nicht um eine gefährliche Körperverletzung, sondern um eine einfache Körperverletzung handele. Das Urteil war bereits die zweitinstanzliche Entscheidung nach einem Freispruch durch das Amtsgericht Köln, das im November 2011 geurteilt hatte, „dass der Eingriff aufgrund der wirksamen Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern gerechtfertigt gewesen sei.“

Dieser Haltung konnte sich das Landgericht nicht anschließen, denn die Beschneidung „sei insbesondere nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt, weil sie nicht dem Wohl des Kindes entspreche. Denn im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung überwiege das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit vorliegend die Grundrechte der Eltern. Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht würden nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten seien abzuwarten, ob sich das Kind später selbst für eine Beschneidung entscheidet“, so das Landgericht.

Hier steht also das Grundrecht eines nicht einwilligungsfähigen Kindes auf körperliche Unversehrtheit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit der Eltern und dem Recht der Eltern auf Erziehung ihres Kindes gegenüber. Hinzu kommt noch die Religionsfreiheit des Kindes, das durch den irreversiblen chirurgischen Eingriff eingeschränkt wird. Dahinter steht also vor allem die Frage, inwieweit Eltern das Recht zusteht, aus religiösen oder anderen Gründen das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit zu missachten.

Heftige Reaktionen der Beschneidungsbefürworter, aber auch Zuspruch zum Urteil des Kölner Landgerichts

Inzwischen stellen sich nicht nur Vertreter der betroffenen Religionen, sondern auch die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland, sowie maßgebliche Politiker aus CDU, SPD, Grüne und FDP auf die Seite der Befürworter einer religiös begründeten Beschneidung von Jungen bei Muslimen und Juden.

Eine gute und knappe Zusammenfassung der Rechtslage und Bewertung gibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, der feststellt, dass es sich bei der religiös motivierten Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen nach vorherrschender Rechtsmeinung im Schrifttum um eine nicht gerechtfertigte Körperverletzung handelt. Die Richter am Kölner Landgericht haben demnach keineswegs, wie bisweilen behauptet wird, eine von der vorherrschenden Rechtsmeinung abweichende Haltung vertreten.

Aus der Politik war anfänglich kaum eine Resonanz zu verzeichnen, nur einige Grünen-Politiker wie Claudia Roth und Volker Beck sprachen sich klar für die rechtliche Ermöglichung der religiös begründeten Beschneidung von Jungen aus. Inzwischen beugen sich Vertreter der meisten Parteien dem Druck der orthodoxen und konservativen Strömungen innerhalb des Islam bzw. des Judaismus. Zahlreiche säkulare und liberale Stimmen aus den gleichen Gruppen, die sich kritisch zur Beschneidung äußern, werden dagegen kaum wahrgenommen. Es ist zum Beispiel wenig bekannt, dass eine Mehrheit der Juden in den USA, die sich eher als säkular oder liberal bezeichnen, die Beschneidung nicht als bestimmendes Merkmal des Judaismus sieht. Es gibt spezielle jüdische Zeremonien für neugeborene Jungen – das Brit Schalom – die von Rabbinern durchgeführt wird und bei der auf eine Beschneidung bewusst verzichtet wird. Die Beschneidung unter Juden ist alles andere als unumstritten.

Leider traut sich fast kein Politiker, sich vor das Landgericht zu stellen, und die körperliche Unversehrtheit der Kinder als das höher zu bewertende Grundrecht einzustufen. Neben den SPD-Laizisten, die sich hinter das Landgericht stellten, haben sich die Piraten nach Annahme eines entsprechenden Antrages öffentlich hinter das Landgericht gestellt. Unterstützung bekommen die Kinder von Kinderchirurgen, säkularen Verbänden, Kinderschutzorganisationen, Terres des Femmes und Wissenschafts-Bloggern.

Hektische Planungen im Bundestag

Inzwischen scheinen sich CDU, SPD, Grüne und FDP einig zu sein, dass die Beschneidung von Jungen aus religiösen Motiven gesetzlich abgesichert wird. Dazu soll bald eine interfraktionelle Resolution in den Bundestag eingebracht werden. Die Parteien – bisher mit Ausnahme der Linken – sind also bereit, hierbei ein ganz wesentliches, vielleicht das höchste Grundrecht überhaupt, zugunsten religiöser Riten einzuschränken. Damit stellen sie sich nicht nur gegen das fundamentale Grundrecht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit, sondern auch gegen verbindliche internationale Abkommen, wie die UN-Kinderrechtskonvention, die in einer deutschen Fassung vom Bundesfamilienministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben wird.

Speziell werden insbesondere Artikel 19.1: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Misshandlung […], solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.“ und vor allem Artikel 24.3: „Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.“ verletzt.

Offenbar wollen führende Politiker von CDU, FDP, SPD und Grünen mit einer schnellen Resolution und einer schnellen gesetzlichen Regelung einer Grundsatzdebatte aus dem Weg gehen, die für die Befürworter dieser rituellen Praxis höchst unwillkommen wäre. Immerhin spricht sich eine klare Mehrheit in Deutschland gegen die religiös begründete Beschneidung von Jungen aus, die Mehrheit der Bevölkerung ist also der Auffassung des Landgerichts Köln. Dies spricht leider Bände über die demokratische Kultur mancher Spitzenpolitiker, der Politikverdrossenheit wird auf diese Weise gewiss nicht vorgebeugt.

Für und Wider die Beschneidung von Jungen

Von den Befürwortern der Beschneidung werden verschiedene Aspekte angeführt, um den chirurgischen Eingriff an den Genitalien der Jungen ohne medizinische Indikationen zu bagatellisieren oder sogar medizinisch zu begründen. So wird insbesondere darauf verwiesen, dass dieser Eingriff hygienische und damit gesundheitliche Vorteile mit sich brächte. Dabei wird u.a. auf die verbreitete Beschneidungspraxis in den USA verwiesen oder auch auf eine Empfehlung der WHO. Letztere bezieht sich jedoch vor allem auf die spezielle und nicht allgemein übertragbare Situation in Ländern wie Uganda, in denen eine sehr hohe Verbreitung von AIDS und anderen Erkrankungen besteht und zudem viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Gerade die WHO hat in medizinischen Fragen oft Objektivität und Wissenschaftlichkeit vermissen lassen, wenn es um politische Interessen ging, und man sollte den Aussagen von wissenschaftlichen Fachverbänden den Vorzug geben.

Da die Betroffenen religiösen Befürworter der Jungenbeschneidung jedoch ausdrücklich auf dem religiösen, rituellen Charakter dieser Handlung bestehen und dabei auf ihre Religionsfreiheit als garantiertes Grundrecht verweisen, das höher zu bewerten sei als das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit, führt diese Nebendiskussion ohnehin ins Leere.

Nicht zuletzt die Ärzteschaft selbst, wie u.a. auch der Verband der Kinderchirurgen stellt sich hinter das Urteil des Kölner Landgerichts und verweist darauf, dass weder hygienische Vorteile die Nachteile und Risiken überwiegen, die mit einer Zirkumzision einhergehen, noch dass es sich um einen vernachlässigbar kleinen und folgelosen Eingriff handelt.

Folgerichtig verteidigt auch der Kinderschutzbund und die Deutsche Kinderhilfe das Gerichtsurteil als richtig und betont das Grundrecht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit als das höherwertige Recht.

In einem sehr empfehlenswerten Artikel im Deutschen Ärzteblatt wird medizinisch und juristisch dargelegt, warum es sich um eine Körperverletzung handelt und dass dieser Eingriff, weil medizinisch unnötig, eine körperliche Misshandlung darstellt. Man kommt zu dem Schluss:

„Es gibt also keine zwingenden Argumente, womit sich eine religiöse Beschneidung Minderjähriger begründen lässt. Bestehen bleiben allein die Nachteile (zu sehen vor allem im irreversiblen Verlust der Vorhaut), weshalb die religiöse Beschneidung nicht im Wohl des Kindes liegt, den Personensorgeberechtigten für die Einwilligung die Dispositionsbefugnis fehlt und damit der operative Eingriff eine rechtswidrige Körperverletzung darstellt.“

So empfahl folgerichtig der stellvertretende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, Bernd Tillig, Eltern, die Beschneidung so weit wie möglich hinauszuzögern. Die Kinder sollten dann selbst entscheiden.

Das Urteil hat einerseits keine abschließende und bundesweit bindende Wirkung, andererseits jedoch läuft nun jeder Arzt, der eine religiös motivierte und medizinisch nicht angezeigte Zirkumzision vornimmt, Gefahr, sich nicht mehr auf den „Verbotsirrtum“ berufen zu können, weshalb Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, Medizinern rät, religiös begründete Beschneidungen von Jungen wegen des Kölner Urteils vorerst nicht mehr vorzunehmen.

SPD-Laizisten begrüßen das Urteil

Die Laizistinnen und Laizisten in der SPD sprechen sich in ihren Zielen für ein klares Primat der staatlichen Grundrechte und Gesetze gegenüber anderen „Vorschriften“ aus, wie sie z.B. durch Traditionen oder Religionen vorgegeben werden. Für uns steht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht zur Disposition. Unwiderrufliche Eingriffe bedürfen der Volljährigkeit der Betroffenen und können nicht von ihren Eltern vorweggenommen werden, weder aus religösen, traditionellen oder sonstigen Gründen. Eine Ausnahme können lediglich drohende Gefahren für die Betroffenen durch Unterlassung, oder ein klarer, wissenschaftlicher Konsens bezüglich des Vorteils, wie bei Operationen oder Impfungen bilden. Bei diesen Ausnahmen muss es sich auf Fälle beschränken, die einen objektiven Vorteil im Interesse der Betroffenen (Minderjährigen) selbst bieten. Bis auf solche Ausnahmen müssen Eingriffe auf die Volljährigkeit verschoben werden, wenn die Betroffenen Entscheidungen selbst treffen können und dabei die Möglichkeit einer umfassenden Information über die durchzuführende Handlung haben.

Wir betonen die Religionsfreiheit als hohes Gut, wobei zu betonen ist, dass auch die negative Religionsfreiheit, also das Recht, keine Religion auszuüben, von diesem Grundrecht eingeschlossen wird. Diese negative Religionsfreiheit schließt ein, dass Eltern nicht das Recht zusteht, durch unwiderrufliche Maßnahmen die Religionsfreiheit des Kindes einzuschränken. Sie dürfen nicht dazu gezwungen werden, ein Zeichen oder Merkmal für eine Gruppe oder Religion tragen zu müssen, da sie bei Volljährigkeit eine andere Entscheidung treffen könnten. Natürlich stehen Volljährigen solche Rechte uneingeschränkt zu.

Bei der religiös bedingten Zirkumzision wird ein irreversibler und schmerzhafter chirurgischer Eingriff vorgenommen, der zudem nicht folgenlos und auch nicht risikolos ist. Ein Verschieben dieser Beschneidung auf den Zeitpunkt der Volljährigkeit wird von Vertretern der betroffenen Religionen schärfstens abgelehnt, „Gott lässt nicht mit sich verhandeln“ ist dafür die bezeichnende Begründung derer, die glauben, dass ihre Gottheit eben ganz konkret und unmissverständlich diesen „Befehl“ erteilt habe, die Jungen zu beschneiden.

Zur Beschwichtigung von Kritikern wird außerdem immer wieder auf den banalen und harmlosen Charakter der Beschneidung verwiesen, die keineswegs mit der Beschneidung von Mädchen vergleichbar sei. Dabei wird jedoch übersehen, dass in beiden Fällen aus rein religiösen Gründen ein chirurgischer Eingriff an den Genitalien vorgenommen wird, der jedenfalls medizinisch nicht sinnvoll oder gar notwendig ist und der nicht anders denn als Körperverletzung zu bewerten sein kann, wenn auch im einen Fall als leichtere und im anderen Fall als schwere Körperverletzung. Es handelt sich in beiden Fällen um eine Misshandlung mit lebenslangen körperlichen Folgen, auch wenn die Folgen bei Jungen nicht so schwer wiegen wie bei Mädchen. Offenbar will man hier eine völlig willkürliche Grenze ziehen.

Es müsste also von denen, die diese Beschneidung von Kindern aus rein religiösen Gründen vornehmen, gerechtfertigt werden, dass und warum dieser Eingriff eine Notwendigkeit darstellt, die wichtiger ist als unsere höchsten Grundrechte. Immerhin ist seit Jahren unumstritten, dass selbst Eltern ihre Kinder nicht schlagen dürfen oder auch eine strafbare Handlung vorliegt, wenn an Minderjährigen ein Piercing oder eine Tätowierung vorgenommen wird. Die medizinisch überflüssige, irreversible und mit gesundheitlichen Risiken behaftete Zirkumzision dagegen nicht als Körperverletzung zu würdigen, erscheint vor diesem Hintergrund bizarr. Wer der Auffassung ist, dass es sich hier um einen harmlosen und unbedeutenden Eingriff handelt, der sehe sich bitte diesen kurzen, 15minütigen Film an.

Verschiedene Denkwelten prallen aufeinander

Absurderweise wird jedoch denen, die sich hinter das Urteil des Kölner Landgerichts und die Auffassung der Mediziner stellen und für die körperliche Unversehrtheit von Kindern als höherwertiges Rechtsgut einsetzen, vorgeworfen, sie seien „unsensibel“ und würden Grundrechte nicht achten. Dabei vermischen und verwechseln die Religionsgemeinschaften, wie schon oft zuvor, das Selbstverwaltungsrecht, das ihnen vom Grundgesetz zuerkannt wird mit einem Selbstbestimmungsrecht, dass sie quasi über die bestehenden Gesetze stellen würde.

Damit wird deutlich, dass hier zwei Denkwelten hart aufeinanderprallen: Manche religiöse Menschen und Religionsvertreter halten ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit für selbstverständlich höherwertig als alle anderen Grundrechte und Grundwerte, und sie stellen es selbst über das Recht auf die körperliche Unversehrtheit von Kindern.

Dabei ist auch innerhalb der Religionsgemeinschaften diese Praxis nicht unumstritten und offenbar auch nicht zwingend erforderlich, um die Religion auszuüben. So gibt es in Israel eine „Organisation gegen Genitalverstümmelung“, die 1998 vor das Oberste Gericht zog und anstrebte, Beschneidungen für illegal erklären zu lassen. Und vor einigen Jahren ergab die Umfrage eines israelischen Elternportals, dass ein Drittel der Eltern gern auf das Ritual verzichten würde.

Im Islam dagegen findet die Beschneidung ohnehin erst statt, wenn das Kind schon älter ist, ein fester Zeitpunkt ist offenbar nicht vorgegeben. (Dann aber kann auch eine Verschiebung auf die Volljährigkeit kein Problem sein.) Als Beispiel für den offenbar anderen Umgang mit der Beschneidung im Islam sei auf den integrationspolitischen Sprecher der Grünen Memet Kilic verwiesen, der sich weitaus differenzierter zum Thema geäußert hat als Roth und Beck. In einem Interview der Stuttgarter Zeitung äußert er sich wie folgt:

„Frage: Herr Kilic, lassen Sie Ihre beiden Söhne jetzt noch beschneiden?

Antwort: (…) Vermutlich wären wir einfach der Tradition gefolgt. Nun hat mich das Urteil aber nachdenklich gemacht. Die beiden sind ein und acht Jahre alt. Es könnte womöglich besser sein, wenn meine Söhne in späteren Jahren selbst entscheiden dürfen, ob sie dieses Merkmal unserer Religion tragen wollen oder nicht. Denken Sie nur daran: im Petitionsausschuss beschäftigen wir uns gerade damit, ob man Pferde wirklich brandmarken muss oder ob es nicht mildere Verfahren gibt. Da sollte die Frage nach der Beschneidung kleiner Jungen auch kein Tabu sein.“

Eine solch nüchterne und differenzierte Betrachtung wäre allen Politikern zu wünschen anstelle der reflexhaften Verteidigung fragwürdiger religiöser Traditionen. Die deutsche Geschichte und das schwer belastete und besondere Verhältnis zur jüdischen Religionsgemeinschaft verpflichtet uns zwar, sehr sorgsam und rücksichtsvoll diese Religionsgemeinschaft zu achten und zu schützen. Das darf aber nicht zur Folge haben, dass wichtige Grundrechte wie der Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Kindern leichtfertig beiseite gewischt werden, wenn sie einzelnen Traditionen der Religionsgemeinschaft entgegenstehen. Es ist umso bedauerlicher (wenn auch leider erwartbar), wenn Kritiker der religiös motivierten Beschneidung sogleich in die antisemitische Ecke gestellt werden. Das tut der Sache selbst und vor allem dem Niveau der Auseinandersetzung keinen Gefallen.

Unser Bundessprecher Horst Isola hat für uns SPD-Laizisten am 28. Juni eine Presseerklärung abgegeben, die wir hier zur Vervollständigung der kleinen Dokumentation des Themas nochmals wiedergeben:

„Die SPD-Laizisten begrüßen das Urteil des Landgerichts Köln, Beschneidungen aus religiösen Gründen für strafbar zu erklären.

Endlich machen sich deutsche Gerichte daran, die Reichweite der Glaubensfreiheit neu zu vermessen. Die Empörung des Zentralrats der Juden verkennt, dass das Grundgesetz kein Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften anerkennt, sondern nur ein Selbstverwaltungsrecht „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Weimarer Verfassung). Das bedeutet, dass auch Religionsgemeinschaften die für jedermann geltenden Strafvorschriften zu beachten haben. Unsere Rechtsordnung gibt ihnen nicht das Recht, sich unter Berufung auf religiöse Vorschriften oder Rituale ein eigenes – göttliches – Recht zu schaffen und zugleich gegen fundamentale Grundrechtsvorschriften wie die körperliche Unversehrtheit zu verstoßen. Dies ist umso verwerflicher, als im vorliegenden Fall Opfer Kleinkinder sind, die sich nicht wehren können und womöglich für ihr ganzes Leben durch einen solche Eingriff, wie ihn die Penisbeschneidung darstellt, traumatisiert werden.“

Im April 2012 hatte sich Manula Schwesig noch für die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz ausgesprochen. Sie forderte, die Bundesregierung müsse „endlich den Weg freimachen, damit Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden können. Kinder sollen ausdrücklich als Träger von Grundrechten benannt werden und nicht nur im Rahmen der Elternrechte.“ Konsequenterweise hätte man danach auch das Kölner Urteil begrüßen müssen, geht es doch hier um genau diesen Vorrang der Grundrechte der Kinder. Nun scheint das alles nicht mehr zu gelten und die Grundrechte von Kindern auf körperliche Unversehrheit werden archaischen religiösen Riten untergeordnet.

Nachdem Aydan Özuguz (die für den Stellvertretenden Parteivorsitz der SPD kandidiert) sich für den Parteivorstand scharf von unserer Erklärung distanziert hat, haben wir auch hierauf reagiert. Dazu sei hier auf die Pressemitteilung von Nils Opitz-Leifheit und Oliver Lösch verwiesen.

Nils Opitz-Leifheit und Amardeo Sarma

Anhang/ Quellen und Hinweise:

Linksammlung zum Thema