Am Samstag den 11. November ab 11 Uhr ging es in den Räumen des HVD Niedersachsen durchaus ernst zu. Das Bundestreffen der Säkularen Sozis setzte ein Zeichen für plurale wie zeitgemäße Religionspolitik. Genossinnen und Genossen aus der ganzen Bundesrepublik waren angereist, um über einen integrativen Religionsunterricht, die weitere Strategie zur Anerkennung auf Bundesebene und die Pläne für das nächste Jahr zu diskutieren. Stellvertretend für unseren Unterstützerkreis fand sich Lale Akgün aus Köln ein, die sich dafür aussprach verstärkt in der Partei zu werben, um weitere Menschen für unsere Sache zu gewinnen. Gäste der Säkularen Grünen aus Niedersachsen und von der Humanistischen Union waren ebenso anwesend.
Die Religionswissenschaftlerin Wanda Alberts von der Leibniz Universität Hannover referierte über „Integrative Religionskunde – Europäische Perspektiven und deutsche Probleme“. Ihre Grundfrage lautete: „Wie lernt man in verschiedenen Kontexten in Europa etwas über unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen?“ Als Vertreterin einer Disziplin, die Religonen in ihrer Vielfalt wie vergleichend zu erkunden trachtet, konnte sie schnell auf drei vorherrschende Modelle von Religionsunterricht zu sprechen kommen: Integrativer Religionsunterricht, separativer Religionsunterricht und lerndimensionaler Religionsunterricht. Mittels integrativen Formaten wird versucht in einem eigenen Schulfach Wissenswertes über alle Religionen, Kulturen und ethischen Lebensweisen zu vermitteln. Die in Europa wie Deutschland vorherrschenden separativen Formate hingegen, trennen in Konfessionen und alternative Fächer, wie beispielsweise Ethik. Lerndimensionale Ansätze finden sich im laizistischen Frankreich sowie den Niederlanden, wo versucht wird Inhalte über Religionen in bestehenden Schulfächern zu thematisieren.
Sie verdeutlichte, dass in den skandinavischen Ländern vor allem Schweden seit den 60er Jahren mit seinem Fach „Religionskunskap“ (Religionskunde) einen erfolgreichen integrativen Ansatz verfolgt. Ein ähnlicher Versuch in Norwegen mit „Christentum, Religion und Lebensanschauungskunde“ war es nur dem Namen nach und privilegierte bis 2007 christlich-theologische Inhalte, als schließlich ein Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dies anprangerte.
In Deutschland wies sie einzig und allein den Berliner Ethikunterricht als integrativ im Sinne eines gemeinsamen Unterrichtes aus. Inhaltlich plädierte Sie für einen kritischen, objektiven und pluralistischen Unterricht, der hier weder bevorzugt noch diskriminiert sowie die Vielfalt der Religionen und Weltanschauungen berücksichtigt. Werte und Normen in Niedersachsen ist Teil der separativen Modelle und verlangt nach mehr religionswissenschaftlicher Fachdidaktik und das Hamburger Modell eines „Religionsunterrichts für alle“ wird strukturell noch von der evangelischen Kirche dominiert. Sonst herrschen in den meisten Bundesländern konfessionelle getrennte Formate vor, die durch zumeist durch mit einem marginal ausgestatteten wie wenig gepflegten Ethikuntericht ergänzt werden.
Anders als die im konfessionellen Religionsunterricht im Zentrum stehende Beschäftigung mit der ‚eigenen‘ Religion oder Konfession, auch angesichts religiöser Pluralität, wird im integrativen Religionsunterricht ‚Religion‘ als ein Gegenstand unter anderen betrachtet, vergleichbar etwa mit ‚Politik‘, ‚Geschichte‘ und ‚Kultur‘. Daher erfordert diese Beschäftigung mit Religion auch keine besonderen Maßnahmen wie etwa die Trennung der Schüler oder den Rückgriff auf von Religionsgemeinschaften autorisierte Lehrer. Schließlich wird auch Politik- und Sozialkundeunterricht nicht von Lehrern erteilt, die lediglich in der Perspektive einer politischen Partei sowie deren Perspektive auf ‚die anderen‘ Parteien ausgebildet wurden. Vielmehr geht es darum, den Schülern allgemein politisches Denken (unterschiedlicher Traditionen), die Geschichte politischer Entwicklungen sowie Dynamiken von Politik heute nahezubringen, unabhängig davon, aus welchem politischen Lager Lehrer und Schüler kommen. (Wanda Alberts, mehr hier)
Nach vielen Nachfragen und langer Diskussion sprach sich eine Mehrheit dafür aus, dieses Thema weiter zu verfolgen, sich an Schweden ein Beispiel zu nehmen, aus Fehlern zu lernen und sich eindeutig für ein integratives Modell zu engagieren, das nicht in Konfessionen trennt. Schließlich ist in Luxemburg, mit dem Fach „Leben und Gesellschaft“ 2016 an Gymnasien und im September 2017 auch an Grundschulen, eine konsequente Umsetzung staatlichen Unterrichts erst kürzlich erfolgt.
Damit dies fachlich wie politisch kraftvoll geschehen kann, wird ein Bundessprecherinnentreffen im April oder Mai 2018 stattfinden. Als mögliche Orte wurden Köln, Hannover oder Frankfurt genannt. An diesem Arbeitstreffen sollen sowohl Positionspapiere als auch Leitanträge hinsichtlich einer integrativen Religionskunde formuliert werden.
Der Sprecherinnenkreis wurde mit Klaus Gebauer für NRW und John-Hendrik Paulsen für Schleswig-Holstein auf 9 Personen erweitert und ist mit Mehrheit beauftragt worden, einen erneuten Anlauf zur Anerkennung unserer Gruppierung als bundesweiter Arbeitskreis zu wagen.
Seit zirka 10 Jahren engagieren sich die Säkularen informell in der Partei. Sie haben auf Landes- wie Lokalebene anerkannte Arbeitskreise gegründet, Konfessionsfreien, Liberalreligiösen, Agnostikerinnen und Atheisten eine Heimat in der Partei gegeben und deutlich gemacht, dass die SPD mehr kann, als Lobbypartei für Religionsgemeinschaften zu sein. Es wird Zeit, dass hier auch die Partei sich den Anforderungen stellt, damit sich Menschen aller Religionen wie Weltanschauungen politisch vertreten fühlen.