Eine Analyse von Dr. Lale Akgün
Am 9. November 2017 hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden:
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. und der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V. haben in Nordrhein-Westfalen keinen Anspruch auf allgemeine Einführung islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Aktenzeichen: 19 A 997/02 (I. Instanz: VG Düsseldorf 1 K 10519/98)
Vordergründig erstrebten die beiden Verbände die Einführung eines islamischen Bekenntnisunterrichtes für muslimische Kinder anstelle des jetzigen Beiratsmodells, bei dem die Hälfte der Mitglieder des Beirates von den islamischen Verbänden gestellt werden und die andere Hälfte vom Schulministerium berufen wird. Sie wollten einen Bekenntnisunterricht, der dem Grundgesetzartikel 7.3 entspricht. Es ging um den Satz „Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“
Um dieses Recht in Anspruch zu nehmen, müssten die islamischen Verbände, in diesem Fall der Zentralrat der Muslime und der Islamrat, als Religionsgemeinschaften anerkannt werden. Die Erfüllung dieses seit Jahren gehegten Wunsches hat ihnen das OVG Münster nun versagt. Die Verbände sind keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes, daher können sie diesbezüglich etwa den Kirchen nicht gleichgestellt werden. Das Urteil ist also für die klagenden Islamverbände eine Ohrfeige. Und es hat ihnen nicht genutzt, dass sie sich immer wieder selbst als „Religionsgemeinschaft“ bezeichnet haben und dies auch weiterhin tun.
Nach meiner Einschätzung ist es ein gutes und richtiges Urteil. Es verhindert, dass die zum Teil theologisch sehr konservativen – bzw. fundamentalistischen – Verbände die Definitionshoheit über den Islam erhalten, der in deutschen Schulen gelehrt und in der Gesellschaft verbreitet wird.
Die beiden klagenden Verbände vertreten keineswegs alle Muslime – bzw. „die“ Muslime in Deutschland – auch nicht zusammen mit DITIB, also dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde DIYANET, und dem VIKZ, Verband der islamischen Kulturzentren (ein Ableger des Nakschibendi Ordens des Sufi-Predigers Süleyman Hilmi).
Dem deutschen Staat wäre es natürlich sehr recht, nur einen gemeinsamen muslimischen Ansprechpartner zu haben. Aber es gibt eben mehrere Gründe, die das verhindern – z.B. vertreten selbst die vier genannten großen Verbände nur etwa 15 bis 20 Prozent der Muslime in Deutschland (da es keine Mitgliederlisten gibt, sind dies Schätzzahlen). Auch vertreten sie nicht die zahlreichen theologischen Strömungen des Islam. Ohnehin gibt es im Islam keine zentrale theologische Autorität.
Das hat das OVG Münster wohl auch erkannt, wenn es in seiner Urteilsbegründung schreibt:
Dazu (Anm.: zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft) gehört unter anderem, dass der Dachverband in seiner Satzung mit Sachautorität und ‑kompetenz für identitätsstiftende religiöse Aufgaben ausgestattet ist und die von ihm in Anspruch genommene religiöse Autorität in der gesamten Gemeinschaft bis hinunter zu den Moscheegemeinden reale Geltung hat. Diese Voraussetzung hat der Senat in Bezug auf beide klagenden Islamverbände verneint.
Das Gericht hat die Defizite der Verbände sehr klar beschrieben. Die notwenige Sachautorität und -kompetenz für identitätsstiftende religiöse Aufgaben wurde nie wahrgenommen. Man begnügte sich mit der Übernahme islamischer Sichtweisen und Interpretationen aus der Türkei und den arabischen Ländern und zeichnete sich weniger durch religiöse Diskurse, als vielmehr durch politische Aktivitäten, bzw. Kontakte zu den politischen Ebenen aus. Wie sollten unter diesen Umständen diese eher politisch agierenden Verbände, dazu ohne einen nennenswerte Anzahl von akademisch ausgebildeten Theologen als religiöse Autorität auftreten?
Die Schlussfolgerung aus diesem Urteil sollte nun allerdings nicht sein, von den Muslimen eine „Verkirchlichung“ des Islam zu verlangen. Weder die Einzelverbände DITIB, Islamrat, ZDM und VIKZ noch deren Zusammenschluss KRM (Koordinationsrat der Muslime) dürfen zu einer Art kirchlichen Organisation werden.
Es ist sehr wichtig, den Muslimen ihre religiöse Vielfalt zu lassen – gerade jetzt, da der gesellschaftliche Diskurs immer mehr von den Auseinandersetzungen zwischen dem orthodoxen Islam und einem wie auch immer gearteten Reform-Islam geprägt wird. Dieser Konflikt wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen, weil die Orthodoxen sich die Definitionshoheit über den Islam nicht wegnehmen lassen wollen und die Reformer ihrerseits den Islam anders als die Orthodoxen interpretieren wollen. Die Orthodoxen werden weiterhin die Herkunftskulturen und die Traditionen pflegen und instrumentalisieren, um an dem Hergebrachten festzuhalten.
Die Entscheidung des OVG Münster hat den Muslimen in Deutschland Zeit gegeben für die interne Auseinandersetzung, aber auch für eine differenzierte Darstellung des Islam. Sie sollten diese Zeit nutzen!