Mein Ende gehört mir!

Beschluss auf dem Bundestreffen am 22.11.2014 in Berlin

Keine Kriminalisierung der passiven Sterbehilfe in Deutschland

Wir, die Laizistischen SozialdemokratInnen , erklären unsere Unterstützung zu den Leitsätzen des Bündnisses „Mein Ende gehört mir“ gegen ein Verbot der Beihilfe zum Suizid in Deutschland. Diese Leitsätze wurden von einem breiten Bündnis säkularer und humanistischer Organisationen erarbeitet und im Frühjahr 2014 der Öffentlichkeit vorgestellt (www.mein-ende-gehört-mir.de). Zu den Unterstützern gehören auch wir Laizistinnen und Laizisten in der SPD.

Auch wir wollen eine Verbesserung ambulanter und stationärer palliativer Leistungen für schwerstkranke Menschen mit unheilbaren Krankheiten. Hier besteht noch immer eine große Versorgungslücke, die nach Jahren des bestehenden Rechtsanspruchs endlich geschlossen werden muss. Wir wissen aber auch, dass die Palliativmedizin allein keine ausreichende Antwort auf die Wünsche und Nöte der Betroffenen ist. Die freiverantwortliche Entscheidung des Einzelnen, sein Leben zu beenden, darf den Betroffenen deshalb nicht außerhalb der Gesellschaft stellen. Seine Entscheidung muss respektiert und seine Bitte nach Hilfe und Unterstützung auf diesem schweren Weg darf nicht über das Strafrecht kriminalisiert werden.

Der jetzige Zustand, bei dem schwerstkranke Menschen mit freiverantwortlichem Suizidwillen allzu oft in ihrer Not die Therapie durch Medikamentenrücklage und -verzicht verkürzen oder ihr Leben unter menschenunwürdigen Bedingungen beenden müssen, ist mit dem Leitbild einer solidarischen und mitmenschlichen Gesellschaft nicht zu vereinbaren.

Hier braucht es kein Verbot, sondern das Angebot einer angemessenen Hilfe und Unterstützung, welche die freiverantwortliche Entscheidung zur Beendigung des Lebens akzeptiert und den letzten Weg in humaner Art und Weise eröffnet.

Wir treten auch für das Selbstbestimmungsrecht jener entscheidungsfähigen Erwachsenen ein, die ihrem Leben nach reiflicher Überlegung aus anderen Gründen als einer akuten, schwersten Erkrankung ein Ende setzen wollen, also beispielsweise jener Menschen, die an einer nicht unmittelbar zum Tode führenden Krankheit oder den Folgen eines Unfalls leiden und ein langes, zur völligen Hilflosigkeit führendes Siechtum vermeiden wollen,

die dem Verdämmern in einer altersbedingten Demenz entgehen wollen,

die am Ende eines erfüllten Lebens ihr Dasein beenden wollen, weil sie des Lebens müde sind oder weil sie nichts mehr haben, das ihrem Leben einen Sinn gibt („Bilanz-Suizid“).

Auch diese Menschen haben ein Recht auf Hilfe zum Suizid, damit sie den Freitod nicht auf grausame Weise wie Erhängen, Vergiften, Erschießen, Sturz aus großer Höhe usw. vollziehen müssen oder gar völlig unbeteiligte Andere auf schreckliche Weise belasten, beispielsweise einen Lokführer.

Es ist für Privatpersonen sehr schwierig bis unmöglich, sich geeignete Mittel zur Selbsterlösung zu verschaffen, beispielsweise Medikamente, die in hoher Dosis tödlich wirken. Sie sind deshalb auf Ärztinnen und Ärzte bzw. auf Einzelpersonen oder Vereinigungen angewiesen, die sie beraten und ihnen den Zugang zu solchen Mitteln verschaffen bzw. zur ärztlichen Assistenz beim Suizid verhelfen. Das zu tun, ist nicht verwerflich und darf nicht kriminalisiert werden.

Gerade deshalb kritisieren wir auch das Verbot der passiven Sterbebegleitung, wie es vom Bundesärztetag in Kiel im ärztlichen Berufsrecht verankert worden ist. Vor drei Jahren wurde ein solches Verbot in die (Muster-) Berufsordnung der Ärzte aufgenommen, das bisher in 10 von 17 Landesärztekammern umgesetzt worden ist. Ein Verbot der passiven Sterbebegleitung durch den Arzt würde jedoch die Lage in Deutschland für die suizidwilligen Todsterbenskranken ebenso wie für die Ärzte in unerträglicher Art und Weise verschärfen. Wir fordern die deutsche Ärzteschaft deshalb nachdrücklich auf, diese Beschlusslage zu revidieren und zu einem liberalen Berufsrecht, wie zu Zeiten des früheren Ärztepräsidenten Hoppe, zurückzukehren.

Im Deutschen Bundestag werden in diesen Monaten verschiedene Gruppenanträge zum Thema Sterbehilfe erarbeitet. Die Beratungen sind für das Jahr 2015 geplant. Wir rufen alle Fraktionen und Gruppen des Parlaments dazu auf, bei den Ausarbeitungen von Anträgen und bei den späteren Beratungen auch Sachverstand aus säkularen humanistischen Organisationen einzuholen. Die von der SPD-Bundestagsfraktion nur gegenüber den beiden Kirchen ausgesprochenen Einladungen zeigen einmal mehr die Notwendigkeit von mehr Pluralität gerade auch bei ethischen Fragestellungen.

Die beiden Kirchen besitzen in Deutschland weder ein „Ethik-Monopol“, noch vertreten sie beim Thema Sterbehilfe mit ihren restriktiven Anschauungen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. Ein neues Recht zur passiven Sterbehilfe in Deutschland darf sich nicht aus religiöser Dogmatik speisen, sondern muss den Grundfreiheiten unserer Verfassung folgen. 

Anhang:  Leitsätze
 gegen ein Verbot der Beihilfe zum Suizid in Deutschland (Bündnisses „Mein Ende gehört mir“)

1. Die Beihilfe zur Selbsttötung (Suizidbeihilfe) ist in Deutschland straffrei (oder »keine Straftat«), wenn der Entschluss  zur Selbsttötung freiverantwortlich ist. Wer hingegen Suizidbeihilfe leistet, wenn der Tatentschluss des Suizidenten aus einer krankhaften Störung entspringt, macht sich nach geltendem Strafrecht wegen Tötung strafbar.

2. Es besteht keine Notwendigkeit, an dieser geltenden Rechtslage etwas zu ändern.

3. Nicht urteilsfähige Suizidenten bedürfen keiner Hilfe zur Selbsttötung, sondern fachärztlicher Behandlung. Palliativmedizinische Fähigkeiten und hospizliche Betreuung müssen weiter gelernt und ausgebaut werden, damit sie allen Patienten zur Verfügung stehen, die diese benötigen.

4. Es gibt aber Patienten, für die palliative Leistungen und hospizliche Betreuung keine Optionen sind, weil diese entweder am Krankheitsverlauf und den damit verbundenen Beeinträchtigungen nichts ändern können oder weil diese Angebote von den Patienten abgelehnt werden.

5. Die Menschen müssen darauf vertrauen dürfen, dass die legale passive und indirekte Sterbehilfe nach ihrem geäußerten oder mutmaßlichen Willen oder nach ihrer Patientenverfügung überall praktiziert wird. Es darf nicht sein, dass Menschen sich das Leben nehmen, weil sie heute immer noch Angst haben müssen, dass am Lebensende gegen ihren Willen ein Leidensweg künstlich verlängert wird.

6. Urteilsfähige Erwachsene sollten also in Zukunft ausreichende Unterstützung bei einem selbstbestimmten Lebensende erhalten. Voraussetzung muss immer sein, dass die Suizidenten selbst ihren bevorstehenden letzten Lebensweg in Kenntnis der Angebote von palliativer oder hospizlicher Versorgung als für sie unerträglich oder nicht lebenswert einstufen.

7. Die Lebenswertbestimmung darf auch in Zukunft niemandem außer den betroffenen Menschen selbst zustehen! Das gebieten die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes.

8. Es ist daher begrüßenswert, dass viele Landesärztekammern den Vorschlag der Bundesärztekammer des strikten standesrechtlichen Verbots der Suizidbeihilfe nicht übernommen haben.

9. Das Recht der Ärzte, nach eigenem Gewissen und ihrem ärztlichen Ethos Suizidwilligen zu helfen, steht unter dem Schutz der Verfassung und darf nicht eingeschränkt werden. Sie sind jedoch selbstverständlich nicht verpflichtet, diese Hilfe zu leisten.

10. Die Achtung der Menschenwürde gebietet, dass in den hier genannten Fällen eines freiverantwortlichen Suizids die Menschen in ihrer existentiellen Not nicht auch noch ihre Selbstbestimmung verlieren und in grausame oder gar Dritte gefährdende Suizide getrieben werden.