Der Laizismus als Chance für die SPD
von Jens Niklaus, Dezember 2010
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nahm vor der Presse sehr früh und proaktiv dazu Stellung, dass der Parteivorstand keine Gründung eines Arbeitskreises von Laizistinnen und Laizisten plane und dass ein Antrag auf dessen Gründung „ausgesprochen geringe Chancen“ auf eine Umsetzung habe. Dabei lobte er das bestehende Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften als „bewährt“.
Hierbei stellt sich die Frage, ob der SPD-Chef damit den Weg für eine zukunftsorientierte Neuaufstellung seiner Partei nicht vorschnell verbaut.
Zum einen die Ansicht, die SPD werde durch die Anerkennung eines solchen Arbeitskreises zu einer „Partei der Kirchenfeinde“ (Thierse). Dabei wird übersehen, dass auch Gläubige, nach deren Ansicht ihre Kirchen staatsferner agieren sollten, die Gründung des laizistischen Arbeitskreises unterstützen.
Zum anderen mag die Erinnerung an Zeiten eine Rolle spielen, als von den Kanzeln den Gläubigen gepredigt wurde, welche Partei zu wählen sei und dies meist dem politischen Gegner in die Karten spielte.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Selbst wenn von den Kanzeln noch Derartiges gepredigt würde – die Anzahl derer, die diesen Worten lauschen würden, hat in den letzten Jahrzehnten drastisch abgenommen. Lag der Anteil der Mitglieder der beiden christlichen Kirchen in Deutschland im Jahr 1959 – dem Jahr als die SPD ihr Godesberger Programm verabschiedete – nur knapp unter der 100%-Marke, so gehören im Jahr 2010 nur noch jeweils weniger als 30% der katholischen oder der evangelische Kirche an. Am größten ist mittlerweile die Gruppe der Konfessionsfreien mit 34,6%. Hinzu kommt, dass von der verringerten Basis der Kirchenmitglieder nur noch ein Bruchteil an den Gottesdiensten teilnimmt: 1950 besuchte noch jedes zweite Mitglied der Katholischen Kirche die Eucharistiefeier, 2009 waren es nur noch knapp 13%.
Zudem verlieren die Kirchen weiterhin massiv an Vertrauen in der Bevölkerung. Laut repräsentativen Umfragen des „Leipziger Instituts für Marktforschung“ schenkten 2009 noch 51% den Kirchen ihr Vertrauen, ein Jahr (und einige weitere publik gewordene Missbrauchsfälle später) sind es nur noch 36% – im Osten Deutschlands gar nur 28%.
Den politischen Parteien vertraut allerdings auch nur noch ein Viertel der Menschen und es bleibt fraglich, ob dieser Umstand ausgerechnet eine strategische Allianz zwischen Parteien und Religionsgemeinschaften nahelegt oder ob es nicht vielmehr an der Zeit ist, der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen und säkularen Stimmen zumindest den gleichen Stellenwert wie kirchlichen Meinungsäußerungen zuzubilligen.
In der Befragung der SPD-Ortsvereine nach der Bundestagswahl 2009 war einer der am häufigsten genannten Gründe für die Niederlage die „Entfremdung der Partei von Mitgliedern und Bevölkerung“. Tatsächlich deuten auch die Wahlanalysen darauf hin, dass die (wachsende) Zahl der Konfessionsfreien sich von der SPD nicht mehr vertreten fühlt. Bei der Bundestagswahl 2009 verlor die SPD 11,2%-Punkte und fuhr mit 23% ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit ein. Überdurchschnittlich verlor sie dabei bei den Konfessionsfreien, bei denen sie 15%-Punkte verlor und in dieser Gruppe mit 21% von der Spitzenposition auf Rang 3 abrutschte – nach der Partei „Die Linke“ und der CDU (!).
Sigmar Gabriel sagte in seiner Rede auf dem Bundesparteitag in Dresden: „Wer ein derartiges Wahlergebnis bekommt, der hat mehr als nur ein Kommunikationsproblem. Unsere Politik wirkt manchmal aseptisch, klinisch rein, durchgestylt, synthetisch. Auch das müssen wir ändern. […] Wir müssen dahin, wo es anstrengend ist, […]weil nur da, wo es anstrengend ist, da ist das Leben.“
Auch im Hinblick auf diese Neuausrichtung der Partei ist Gabriel gut beraten, die Tür nicht vorschnell zuzuschlagen und mit dem Blick auf die SPD-Geschichte und die veränderte Gesellschaft mit den Laizistinnen und Laizisten in den Dialog zu treten und ihnen den gleichen Raum innerhalb der Partei einzuräumen, wie ihn andere weltanschauliche Gruppen in der Partei schon seit langem haben.