Auf ihrer Vollversammlung am 27. November 2017 hat die SPD Stuttgart beschlossen, die Landesverfassung von Baden-Württemberg säkularer und neutraler zu gestalten. Unbestimmte christliche Bezüge, die auf ein diffuses „christliches Sittengesetz“ oder eine völlig unklare „christliche Überlieferung“ verweisen, sollen gestrichen oder neu formuliert werden. Damit zeigt die SPD Stuttgart hinsichtlich einer freiheitlich wie sozial modernen Religionspolitik eindeutig Kante. Eine moderne Landesverfassung sollte für gleichberechtigte Verhältnisse sorgen und keine politische Theologie darstellen, die religiös als auch verfassungsrechtlich nur schwer bestimmbar ist. In Streitfällen könnten sich allein christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften auf die Landesverfassung stützen, oder Ministerien wie auch die Landesregierung ihre Politik anhand dieser Verfassungsvorgaben messen lassen müssen.
Auf Betreiben der Jusos Stuttgart und nach einer kontroversen Debatte (siehe unten) entschied sich eine Mehrheit dafür, die religiöse und weltanschauliche Vielfalt in der Gesellschaft zum Maßstab zu nehmen.
Der Antrag im Wortlaut:
– Die SPD-Landtagsfraktion wird aufgefordert eine Verfassungsänderung im Landtag zu beantragen im Sinne eines säkularen und neutralen Staats.
– Alle Paragraphen in denen sich auf Gott, das christliche Sittenrecht oder die christliche Überlieferung berufen wird sollen gestrichen oder umformuliert werden.
– Besonders die folgenden Artikel sollen weltanschaulich neutral umformuliert werden und auf einen religiösen Bezug dezidiert verzichten:
Präambel bzw. Vorspruch: „Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, die Freiheit und Würde des Menschen zu sichern, dem Frieden zu dienen, das Gemeinschaftsleben nach den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen […].“
Artikel 1: „(1) Der Mensch ist berufen, in der ihn umgebenden Gemeinschaft seine Gaben in Freiheit und in der Erfüllung des christlichen Sittengesetzes zu seinem und der anderen Wohl zu entfalten.“
Artikel 3: „(1) Die Sonntage und die staatlich anerkannten Feiertage stehen als Tage der Arbeitsruhe und der Erhebung unter Rechtsschutz. Die staatlich anerkannten Feiertage werden durch Gesetz bestimmt. Hierbei ist die christliche Überlieferung zu wahren.“
Artikel 12: „(1) Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.“
Felix Kaminski und Gabriel Prinzivalli von den Jusos Stuttgart nehmen zum Verlauf der Abstimmung Stellung.
Die SPD Stuttgart hat einen Antrag der Jusos Stuttgart zur säkularen Überarbeitung der Landesverfassung Baden-Württembergs mit Mehrheit unterstützt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Einige Jusos in Stuttgart fanden das Thema Säkularisierung im letzten Jahr recht wichtig. Daher haben wir einen der Bundessprecher der Säkularen Sozis eingeladen. Bereits davor hat Gabriel den entsprechenden Antrag formuliert. Ursprünglich um diesen auf der Landesdelegiertenkonferenz der Jusos BW zu stellen. Wir haben ihn allerdings auch bei Kreiskonferenz der SPD Stuttgart gestellt, wo er jetzt am Montag, den 27.11 behandelt wurde. Bei den Jusos BW wurde der Antrag leider nicht auf der LDK behandelt, er wird nun im Laufe des Arbeitsjahres auf einem Landesausschuss beraten werden.
Es gab durchaus Widerstand, die formulierte Bevorzugung von christlicher Religion durch neutrale Formulierungen zu ersetzen. Wie habt Ihr argumentiert und was war die Reaktion?
In der Einbringung und in der Debatte war es mir besonders wichtig, immer wieder zu betonen, dass sich der Antrag explizit nicht gegen die Kirche oder andere Religionsgemeinschaften richtet und wir keine religiösen Gefühle verletzen wollen. Dennoch wurde uns dies unterstellt. Wir würden ja mit dem Antrag mehr spalten als integrieren. Darauf haben wir entgegnet, dass das ein sehr integrierender Antrag sei, weil wir eine Landesverfassung haben wollen, die alle miteinbezieht.
Das heißt, es wurde erst einmal eine diffuse Religionsfeindlichkeit unterstellt, ohne auf die politische Zielsetzung einzugehen? Welchen Widerspruch gab es noch?
Die Gegenargumente haben sich eher auf die mangelnde Umsetzbarkeit denn auf die inhaltlich-sachliche Ebene bezogen. Wir würden unsere PartnerInnen insbesondere in der evangelischen Kirche vor den Kopf stoßen, die SPD würde nicht mehr von Gläubigen gewählt werden und wir mit unseren 12,7% im Landtag sowas eh nicht machen können. Letzteres ist ja durchaus richtig, aber dann könnten wir komplett damit aufhören, Forderungen aufzustellen.
Die Abstimmung ging sehr knapp für Euren Antrag aus. Was brachte die entscheidende Wende?
Geholfen hat uns meiner Meinung nach vor allem, dass ein Pfarrer im Ruhestand und ehemaliger Gemeinderat in die Debatte gegangen ist und sich für unseren Antrag ausgesprochen hat, weil er möchte, dass alle Religionen gleichberechtigt nebeneinander existieren sollen.