„Karfreitags“-Interview mit Maurice Mäschig, Initiator des Projekts „Tanzverbot abschaffen„, Laizist, ehemaliges SPD-Mitglied und Sozialdemokrat im Herzen.
Maurice, die von Dir mittels facebook-Seite und Petition in Bremen 2011 hervorgerufene Aktion „Tanzverbote abschaffen“ feiert ihr 10-jähriges Jubiläum. Was hat Dich damals motiviert eine solche Kampagne ins Leben zu rufen und würdest Du das wieder tun?
Damals sind mehrere Dinge zusammengekommen. Zum einen hatte ich, mitten in meinen Zwanzigern, die praktischen Auswirkungen des Tanzverbotes bereits mehrere Jahre in Folge unmittelbar zu spüren bekommen. Exemplarisch ist hierbei die vielzitierte Nacht vom Gründonnerstag auf Karfreitag, wo in den Discotheken Tische und Stühle auf die Tanzflächen gestellt und die Musik heruntergefahren wird –wenn diese, je nach Bundesland, überhaupt öffnen dürfen.
Zum anderen war ich bereits seit einigen Jahren politisch aktiv, wusste um die inner- und außerparteilichen Möglichkeiten um Veränderungsprozesse zu starten und hatte durch mein Studium und Praktika auch Erfahrungen darin, wie man Öffentlichkeit für ein Thema erzeugen kann. Hinzu kam der enge Kontakt zu Horst Isola, der zur damaligen Zeit den Gesprächskreis der Laizisten in Bremen organisierte. Dort fiel das Thema der übergriffigen Kirchen und ihrer politischen Handlanger natürlich auf fruchtbaren Boden. Es war die richtige Zeit für den Start dieses Projekts.
Die Tanzverbote oder „stillen Tage“ wurden in einigen Ländern, darunter Bremen, reformiert oder zumindest mit mehr oder weniger erfolgreichen Petitionen zu ihrer Abschaffung bedacht, würdest Du sagen, dass sich etwas getan hat und wenn ja, inwiefern?
Es gab und gibt immer wieder Petitionen gegen die Tanz- und Vergnügungsverbote. Am Ende kratzen deren Ergebnisse bisher aber immer nur an der Oberfläche des Problems. Mal werden Verbotszeiten um Stunden oder gar Tage gekürzt, mal werden die verbotenen Handlungen in homöopathischem Ausmaß angepasst. An das eigentliche Problem des mit den Wertevorstellungen der Kirchen in Deutschland begründeten und staatlich verordneten Eingriffs in das Leben aller Menschen ändert dies aber weiterhin nichts. Da ist es gut, dass es inzwischen –vor der Corona-Pandemie- vielfältige Aktionen, Filmvorführungen und Protestformen insbesondere um Ostern herum gab, die Öffentlichkeit für das Thema schaffen und über die Hintergründe aufklären.
Befürworter der „stillen Tage“ und argumentieren oft mit der Achtung der religiösen Feierlichkeiten oder schlichten Pragmatismus, dass ein paar Tage Ruhe ganz gut täten. Was sind für Dich die nachvollziehbarsten Argumente an Tanzverboten festzuhalten, oder für welche hast Du zumindest Verständnis?
Verständnis habe ich dafür, dass die Regelungen aus einer vollkommen anderen Zeit stammen in der es wohl weitverbreiteter Konsens in der Bevölkerung war, sich den Regeln der Kirchen in Deutschland zu unterwerfen. Das muss man betonen, da der Unfug von Vergnügungsverboten in vielen anderen Ländern, auch deutlich religiöseren als Deutschland, gänzlich unbekannt ist. War früher kirchlicher Kollektivismus üblich, so sind wir heute nicht nur deutlich individualistischer geprägt. Wer Ruhe oder Zerstreuung möchte, findet sie dann und dort, wann und wo er oder sie es mag. Die Gesellschaft hat sich zunehmend von Religionsgemeinschaften, in Deutschland insbesondere der vorherrschenden christlichen Kirchen, und ihren scheinheiligen Moralvorstellungen und Vorschriften befreit und entfernt. Wer möchte, dass man die Vorstellungen der deutschen Kirchen respektiert, hat die Bedürfnisse anderer Menschen ebenso zu respektieren. Beides ist möglich, aber Respekt lässt sich nun mal nicht durch Gesetze erzwingen, worauf Kirchen weiterhin durch teilweise hörige oder in vorauseilendem Gehorsam agierende Politiker*innen drängen.
Für uns Säkulare sind die Tanzverbote Relikte aus der Vergangenheit, die Freiheitsrechte unverhältnismäßig einschränken, denn jeder soll doch Tanzen oder Beten, wie er/sie will. Was sind für Dich, in aller Kürze, die „best of“ der Argumente gegen „stille Tage“ und Tanzverbote?
Die bestehenden pauschalen und christlich-religiös begründeten Tanz- und Vergnügungsverbote in den Landesfeiertagsgesetzen dienen ausschließlich der Machtausübung der Kirchen. Während ihre Bedeutung sinkt, ist ihnen kein Argument zu oberflächlich um für eine Beibehaltung zu plädieren. Dabei müssten Verbote aus gesetzgeberischer Sicht einen sinnvollen Zweck erfüllen und dafür geeignet sein, diesen zu erreichen. Christlich-religiös begründete Tanz- und Vergnügungsverbote schützen jedoch nichts. Die Religionsausübung ist nicht gefährdet oder eingeschränkt, wenn Menschen gleichzeitig anderen Dingen nachgehen. Selbst bei denen immer wieder durch religiöse Fundamentalist*innen angeführten Ängsten vor Technoumzügen vor Kirchen am Karfreitag, so unwahrscheinlich diese auch sind, muss man die Frage stellen: was macht einen Gottesdienst und der Wunsch einiger religiöser Menschen vor komplett ungestörter Religionsausübung schützenswerter, als den Wunsch anderer Menschen nach Freude und Zerstreuung?
Hessen, Bayern und Baden-Württemberg haben immer noch die strengsten Regelungen hinsichtlich der Feiertagsbeschränkungen. Immerhin haben es säkulare Initiativen geschafft an Tagen wie dem Karfreitag trotzdem Film- oder andere Veranstaltungen durchzuführen, wenn diese der weltanschaulichen Feierlichkeit dienen. Wie beurteilst Du diese Entwicklungen.
Mit 571 Stunden Tanz- und Vergnügungsverbot bzw. Feiertagsbeschränkungen, verteilt auf 63 Tage, hat Hessen die umfassendsten Verbote, da es dort rechtlich auch jeden Sonntag gilt, aber natürlich nicht durchgesetzt wird. Bayern folgt mit 190 Stunden an 9 Tagen pro Jahr, Baden-Württemberg ist mit 137 Stunden an 7 Tagen pro Jahr mit dabei. Das es zunehmend mehr Menschen und Initiativen gibt, die sich diese unzeitgemäßen, menschenfeindlichen und weltfremden Regelungen nicht mehr bieten lassen, ist zu begrüßen. Sie zeigen auf und unterstreichen nochmals, wie lächerlich die Verbote sind. Auch an Hamburg (44 Stunden an 4 Tagen pro Jahr), Berlin (51 Stunden an 3 Tagen) und Bremen (37 Stunden an 3 Tagen) wird deutlich, dass es die Verbote eigentlich nur noch auf dem Gesetzespapier gibt. Ein Tanzverbot das am Sonntag ab 6 Uhr gilt, betrifft nur noch einige Frühclubs. Und wenn hierzu das offizielle Hauptstadtportal berlin.de schreibt „Feierwütige Berliner und Touristen müssen Ostern nicht auf Partys verzichten. Das in Berlin geltende Tanzverbot in Kneipen und Clubs am Karfreitag wird auch in diesem Jahr nicht streng durchgesetzt“, ist eigentlich alles gesagt.
Die Tanzverbote werden mittlerweile immer wieder vor den Feiertagen thematisiert bis kritisiert und dann schnell wieder vergessen. Was hat „Tanzverbote abschaffen“ trotzdem geschafft und wie kann es weitergehen.
Während der Corona-Pandemie, in der die Kirchen durch Präsenzgottesdienste ihr unsolidarisches Verhalten zeigen, rückt das Thema Tanz- und Vergnügungsverbote in den Hintergrund. Zumal die derzeit geltenden Verbote zum Gesundheitsschutz nachvollziehbar sind. Man merkt jedoch, wie viele Menschen sich zunehmend nach Ausgelassenheit, Austausch, Freude, Miteinander, Sorglosigkeit und Zerstreuung sehnen. Und sobald es die Pandemie zulässt, sollte es auch an jedem Tag im Jahr möglich sein, das Leben zu feiern –wenn man den möchte. Man weiß nie, wann persönliche Schicksalsschläge oder Außeneinwirkungen wie eben eine Pandemie, Krieg oder Naturkatastrophen uns dies zeitweise nicht mehr ermöglichen.